vonSchröder & Kalender 29.10.2021

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nordwestlicher Richtung.
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Fotos: Barbara Kalender
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Die Herbstsonne schien gestern so schön, also spazierte ich vom Pankower Bürgerpark rüber zum Schloß Schönhausen. Und auch dieses Mal ging ich zur Kindergruppe von Hans Klakow und berührte die Figuren. Die Knie der beiden Mädchen glänzen vom vielen anfassen schon golden.

 

Und jedes Mal muss ich an Jörg Schröder denken, der hier im Schloßpark als kleiner Junge mit anderen Nachbarskindern spielte.

Deshalb poste ich nun ein Zitat, das zuerst in der 43. Folge von ›Schröder erzählt‹ erschien:

»Ich bin gleich beim Schloß Schönhausen aufgewachsen, sein Park lag nur fünfhundert Meter von unserer Wohnung in der Bismarckstraße entfernt, meine Mutter ging immer mit mir hin, und so etwas prägt. Das Schloß war das erste alte Gebäude, das mich sehr beeindruckte – eben fällt mir ein: Möglicherweise habe ich dreißig Jahre später nur deshalb das Herrenhaus in Niederflorstadt gekauft, weil es dem Schloß Schönhausen auf so frappante Weise ähnelt.


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Aber lassen wir mal Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung beiseite, das barocke Gutshaus aus kurfürstlicher Zeit hat eine bewegte Geschichte. Nach der Thronbesteigung und relativ harmonischen kronprinzlichen Jahren in Rheinsberg wies Friedrich der Große das Schloß seiner Ehefrau Elisabeth Christine zu. Schon als kleiner Junge wußte ich, daß die Königin ihren Mann nie in Sanssouci besuchen durfte.

Und ein Hügel im Park hatte es mir besonders angetan. Hier – so ging die Legende – habe der Alte Fritz sein Lieblingspferd begraben lassen. Da kam mir die kindlich tiefe Einsicht, daß der König sein Pferd mehr geliebt haben mußte als seine Frau und ihr das auch zeigen wollte. Keine Ahnung, ob die Sache mit dem Pferdegrab stimmt, aber es würde zur eiskalten Menschenfeindlichkeit des Tierfreundes passen. Beim ersten Zusammentreffen mit seiner Gemahlin nach dem Siebenjährigen Krieg sprach er zu ihr nur den einen Satz: »Madame sind korpulenter geworden.« Und vor seinen Höflingen titulierte er sie manchmal verächtlich mit »ma vielle vache«.

Im Schloß Schönhausen richtete Joseph Goebbels die Reichskunstkammer ein und veranstaltete Ausstellungen regimekonformer Künstler, die Werke der »Entarteten« hingegen wurden am selben Ort magaziniert und ins Ausland verkauft. Nach der Einnahme von Berlin besetzten die Sowjets das alte Herrenhaus und brannten im Park ein bombastisches Siegesfeuerwerk ab. Wir beobachteten das Spektakel von unserem Balkon aus, ich war begeistert, die Erwachsenen hatten, glaube ich, nur Schiß vor den Russen. Jetzt regierte hier die Kommandantur, die sich bald »Sowjetische Militäradministration in Deutschland« nannte. Die neuen Herren beschlagnahmten auch die Villen und Häuser in der Nähe und sperrten die Kronprinzen- und Viktoriastraße mit einem Schlagbaum ab. Das war gleich bei uns um die Ecke.

Später, als die Russen ihre Hochkommission nach Karlshorst verlegten, rückten die Gründungsväter der DDR nach und zogen in das abgesperrte Viertel, das im Volksmund nur noch das »Städtchen« hieß. Präsident Wilhelm Pieck residierte nun im Schloß Schönhausen als Amtssitz und bewohnte das Haus nebenan, so wie auch Ministerpräsident Otto Grotewohl. Der alte Kokser und Kultusminister Johannes R. Becher – Dichter der Staatshymne »Auferstanden aus Ruinen« – bezog eine prächtige Villa mit Marmorvenus im Park, sehr zum Mißvergnügen der anderen Genossen. Rudolf Ditzen alias Hans Fallada schrieb im privilegierten Quartier seinen letzten Roman ›Jeder stirbt für sich allein‹, und Arnold Zweig wohnte auch dort. Ihm hatte ich 1968 noch als Melzer-Lektor nach Niederschönhausen geschrieben, weil ich seinen alten Spinoza-Essay ›Porträt eines freien Geistes‹ veröffentlichen wollte. Der Neudruck erschien kurz vor seinem Tod im Melzer Verlag. Zu dieser Zeit waren die »Repräsentanten der führenden Klasse« schon ins Hochsicherheitsdorf Wandlitz umgezogen, das Schloß diente als »Gästehaus der DDR«, und die angrenzenden Straßen hießen jetzt Ossietzkystraße oder Maiakowskiring.
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Diese Geschichte erschien in der 43. Folge von ›Schröder erzählt‹ im März Desktop Verlag. Jörg Schröder und Barbara Kalender erzählten, die Transkription der Tonaufnahmen wurde von beiden Autoren redigiert.

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BK / JS

 

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