vonSchröder & Kalender 03.12.2021

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Es ist dunkel, ich sehe nicht, wie der Bär flattert.

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Heute ist ein besonderer Tag für mich, denn es kam die Vorschau für das Frühjahr 2022, in der unser erstes Programm vorgestellt wird.

Verlage, Menschen, Achterbahnen: Mal geht’s auf, mal geht’s ab, mal hoch, mal runter. So kommt es, dass Jörg Schröder den März Verlag nummerierte, und ich mache es ebenso:

Erster März Verlag: In der Nacht vom 18. auf den 19. März 1969 gründeten Schröder, Beitlich, Brand, Hansal und Heinzlmeier den März Verlag als »kollektive Selbsthilfe« eine KG.

Ulrich Ott, leitete das Deutsche Literaturarchiv Marbach und gab den Katalog ›Protest! Literatur um 1968‹ heraus, darin schreibt er: »Man könnte sagen: Schröders Beispiel hat Vorbilder und es hat Schule gemacht: Seit 1947 versucht etwa der Verleger Willi Weismann in München seinen literarischen Verlag mit Canetti, Jahnn und Broch durch einschlägige ›Magazine‹ zu finanzieren, und 1970 stützt Lothar Pinkall die Europäische Verlagsanstalt durch ›Nummernbücher‹ mit ähnlicher Thematik gegen den finanziellen Absturz. Auch Pinkall ist einer von den Literaturproduzenten … Was im Melzer Verlag zunächst wie ein Einzelfall erscheint – die erfolgreiche Réage, die als emanzipatorisches Werk gefeiert und verstanden wird – verändert indessen den Verlag von innen: Politisches, Bewusstseinserweiterndes, Sexuell-Emanzipatorisches wirkt in der amerikanischen Popszene oder bei holländischen Provos so vorbildhaft, dass man sich nun dort seine Autoren sucht. Es kommt zum Konflikt zwischen Verleger und Verlagsleiter. Es kommt zur ›Darmstädter Sezession‹, zur Kündigung Schröders …«

Als erstes Buch erschien die Anthologie ›Acid‹, denn sie war in Text und Layout fertig, aber noch nicht gedruckt, sondern nur gesetzt. Die Gesamtauflage von ›Acid‹ inklusive aller Lizenzausgaben beträgt bis heute 120 Tausend.

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Erstes Verlagsverzeichnis Frühjahr 1969.

In dem ungewöhnlichen Stadtführer ›111 Orte in Frankfurt, die man gesehen haben muss‹ von Rike Wolf und Tom Wolf, wird als neunte Station die Fassade des Hauses in der Schwindstraße 3 im Frankfurter Westend gezeigt mit der Bildunterschrift: »Hier hatte Jörg Schröder ein Büro für die Bismarc Media gemietet, eine Agentur, die nichts Anschlussfähiges entwickeln sollte.« Natürlich residierte dort auch der März Verlag. Schröder beschreibt das Büro so: »Neben der Eingangstür war die Telefonzentrale mit einem Sofa für die Gäste, daneben stand das Stehpult, darauf als Wartezimmerlektüre Arno Schmidts ›Zettels Traum‹ …«

Im Herbst 1972 fürchteten die Gläubiger des Verlags um ihre Forderungen, weil sich der Verkauf des Grundstücks in Niederflorstadt hinzog. März meldete einen Vergleich zur Abwendung eines Konkurses an.

Der zweite März Verlag wurde im Juni 1974 als GmbH neu gegründet, Geschäftsführerin war Edith Neusch van Deelen. Es erschienen zahlreiche März-Titel als Neuausgabe und Lizenz bei Zweitausendeins. Der rasante Abverkauf der mit einstweiligen Verfügungen belegten ›Siegfried‹-Erstausgabe, vor allem aber der Bestsellererfolg der beiden Romane von Leonard Cohen ›Das Lieblingsspiel‹ und ›Schöne Verlierer‹ sowie seiner Gedichte und Lieder mit dem Titel ›Blumen für Hitler‹ machten Furore. Die Rechte an den Übersetzungen und die Erlaubnis zur Reproduktion des Schriftbildes hatte Jörg beim März-Konkursverwalter Keller besorgt.

Zitat aus Schröder erzählt: »Franz Greno, damals noch ganz Herstellungs-Brutalinski, stellte die Cohen-Nachdrucke her, manchmal bestand eine Ausgabe aus drei verschiedenen Papierresten.« Im Merkheft las sich das so: »Cohen Sonderband: über achthundert Seiten, Paperback. Drei Cohen-Werke, für die Sie bisher fünfzig Mark anlegen mussten. Endlich wieder lieferbar. So schön wie seine Lieder. Jetzt komplett in einem Band für nur 9,90 DM. Exklusiv bei uns. Nummer 15184.« Dieses Meisterwerk buchkünstlerischen Grauens erreichte eine Gesamtauflage von hundertfünfzigtausend. Die Herstellung kostete pro Exemplar eine knappe Mark, dazu kamen fünfundsiebzig Pfennig für die Rechte.

Im Oktober 1981 kündigte März die Zusammenarbeit mit Zweitausendeins, der dritte März Verlag begann im Frühjahr 1982 zu arbeiten. Zitat: »Das war nun wirklich der Hattrick: Das neue März-Programm sollte erstens im Buchhandel, zweitens von Mail Order Kaiser vertrieben werden, drittens gab es die Backlist des Verlages bei Rowohlt als Taschenbücher. Die Druckerei Beltz in Weinheim wollte die Produktion vorfinanzieren. In nur fünf Monaten musste das Herbstprogramm stehen. Barbara und ich stürzten uns in eine wahnsinnige Hektik. Zur Buchmesse erschienen vierzig großformatige vierfarbige Anzeigen mit wechselnden Headlines in ›Spiegel‹, ›Zeit-Magazin‹, ›taz‹, ›Konkret‹, ›Titanic‹, Titel sowie in diversen Stadtzeitungen und wurden später fortgesetzt.«

1987, nach zwei Herzinfarkten in Folge, konnte Schröder nicht weiterarbeiten. Wegen seiner schweren koronaren Erkrankung wurde er ständig behandelt, die Rekonvaleszenz dauert Monate. Also musste ich im April 1987 den Konkurs des Verlags beim Amtsgericht in Lauterbach anmelden und verhandelte auch mit den Gläubigern.

Jan-Frederik Bandel schrieb in der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹: »Der Künstler Werner Büttner wird nicht müde, seinen Studenten Jörg Schröder als Vorbild hinzustellen: Wer derart souverän vom Höhenflug in die Totalmisere rauscht, sich wieder berappelt und weitermacht, ohne Haltung und Laune zu verlieren, dem kann niemand mehr was anhaben.« (Oktober 2008)

Ja, und genau so war es. Wir machten weiter, planten zwei Jahre lang das Desktop-Projekt ›Schröder erzählt‹. Im vierten März Verlag, dem wir noch das »Desktop« hinzufügten, erschienen 68 Folgen von ›Schröder erzählt‹ nebst sechs kostenloser Treuegaben. Von Mai 1990 bis Juni 2018 entstanden so insgesamt 3.760 Seiten.

Mathias Bröckers, ehemaliger Blogwart von taz.de; gehörte zur Gründergeneration der ›taz‹, war Kulturredakteur bis 1991 und schrieb: »Wenn die Büchersendung kommt, räume ich andere Lektüre sofort beiseite — nichts liest sich besser weg als fünfzig Seiten ›Schröder erzählt‹.«

Im Sommer 2020 wurde der fünfte März Verlag gegründet. Die neue GmbH hat neben Richard Stoiber noch zwei weitere Gesellschafter, die zwar im Hintergrund bleiben, aber dennoch ihre Expertise einbringen: Andreas Rötzer, Verleger von Matthes & Seitz Berlin, und Andreas Guse, IT-Berater aus Köln. Ich bin Herausgeberin der März-Klassiker, entwerfe auch die Cover und bin für den Vertrieb und die Presse zuständig. Zusammen kommen wir vier auf fast 100 Jahre Verlagserfahrung. Was soll da schiefgehen?

Hier kann man in der Vorschau blättern.

Das letzte Wort hat Richard Stoiber: »Wir möchten die Tradition von März fortsetzen und die politischen und künstlerischen Bewegungen des 21. Jahrhunderts fördern. Gleichzeitig wollen wir auch empfänglich sein für die Tendenzen der Gegenwart, um so die Avantgarde von morgen aufzuspüren. März verlegte neben der Belletristik immer schon Bildbände, Comics, Politisches, Pornografie, Kinderbücher, Theorie – stets offen für alles Neue.«

BK / JS / RS

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