Hier habe ich was zur Veranstaltung „Was heißt denn nun ’nie wieder‘?“ auf dem taz lab 2024 geschrieben – nun folgt eine feministische Interpretation. Beide Texte waren ursprünglich als ein großer Text geschrieben, aber ich bemühe mich darum, lange Brocken klein zu hauen.
Der einseitige Fokus des arabischen Soziologen Amro Ali ist ein gutes Beispiel dafür, wie wenig konstruktiv Podien oftmals sind, wenn sie den Raum für Israel-Kritik öffnen sollen.
Was hat eine misslungene Israel-Debatte mit dem Maskulinismus zu tun?
Palästinensischer Nationalismus kultiviert Aggression und die Ideologie der Vorherrschaft, auch wenn er sie natürlich nicht für sich gepachtet hat. Man merkt es daran, dass seine Fürsprecher*innen den andauernden Krieg – im Kopf wie auch mit Messern, Bomben und nun auch die extreme sexualisierte Gewalt – naturalisieren. Es wird als natürliche und somit alternativlose Reaktion auf die unliebsame – als unfair oder repressiv empfundene – Realität gedeutet.
Das Menschenbild, das dahinter steckt, schmeichelt überhaupt nicht: Wer möchte schon einer Gruppe angehören, deren junge Männer aus Wut oder relativer materieller Not schlimme Verbrechen begehen, kleinen Geschwister gefährden und ihr Zuhause in eine unumkehrbare Katastrophe stürzen?
Im Kontext der patriarchalen Glorifizierung toxischer Männlichkeit – wenn Männlichkeit und unkontrolliertes Gewaltpotential eng miteinander verbunden sind – ist das aber ganz logisch.
Was meine ich mit Naturalisierung von Gewalt und der Glorifizierung der toxischen Männlichkeit?
Wenn Amro Ali die Frage umgeht, wie Hamas, Hezbollah, Iran und reguläre Palästinenser, die an den Verbrechen des 7. Oktobers beteiligt waren, sanktioniert werden können, dann drängt sich die Parallele zur Kodierung der sogenannten ‚Ehrenmorde‘ geradezu auf. Ein ‚Ehrenmord‘ ist ein Femizid aus Kränkung. Gekränkt wird die Erwartung, dass die eigene Schwester oder Verlobte bestimmte kulturelle Regeln befolgt, das Überschreiten wird als Verrat oder als Unrecht empfunden. Die Gemeinschaft der Männer oder einige der involvierten Familienangehörigen mögen den ‚Ehrenmorden‘ gegenüber nicht enthusiastisch stehen: doch die legale und physische Dominanz, die Gewaltausübung, der Zorn gelten als natürliches Verhalten. Und man sanktioniert Natur nicht: mit Natur lebt man, nach der Natur richtet man sich, oder man fürchtet und flieht sie: jedenfalls sagt man nicht, ’sei so und nicht so‘.
Eine gekränkte Ehre und das gekränkte Gerechtigkeitsempfinden haben mehr miteinander zu tun, als man womöglich denken würde. „Unrecht“, „ungerecht“ sind nichts weiter als Labels, der Inhalt ist variabel je nach Sozialisation, Kultur oder kognitiven Besonderheiten. Die Kränkung eines regulären Hamas-Kämpfers kann darin bestehen, dass seine Schwester ohne sein Einverständnis einen Mann angesehen hat, die Kränkung eines arabischen Soziologen kann auch darin bestehen, dass Israel keine untergeordnete und passive Position in der hierarchischen Ordnung in der arabisch-dominierten Region einnimmt. Und auch die Aufarbeitung kann schwanken. Das Spektrum reicht von der Schaffung einer binationalen Schule bis hin zum Morden, was zeigt: Es kommt nicht nur darauf an, ob ich und Du ein und dasselbe ungerecht finden, sondern vor allem, wieso und wie.
Priorisierung der männlichen Wut
Sumaya Farhat-Naser beschreibt in ihrem Buch ‚Thymian und Steine‘, dass ihre sehr jungen Söhne bei den Intifada-Protesten mitmachen. Sie hat Angst um sie, kann ihnen aber aufgrund einer Art inneren Stimme – einer Blockade des Gewissens – nicht verbieten, mitzumachen, wohl wissend, dass sie sich damit in Gefahr begeben. Dieses Mindset wertet die männliche Wut höher, als die Frage der Konsequenzen, der sozialen Sinnhaftigkeit oder Rechenschaft seiner Mutter gegenüber. Hier kann eine Mutter bitten, aber nie verbieten, flehen und besänftigen, nicht aber durchsetzen. Und dass sich für Amro Ali die Frage nach den Sanktionen gegenüber den Terroristen des 7. Oktobers nicht stellt, zeigt, dass auch er der Naturalisierung der männlichen Wut und Gewalt nicht entwachsen ist.
Mich nervt das. Für mich sind Kompromisse – die Anerkennung der Tatsache, dass meine Geschichte, mein Narrativ nicht exklusiv gelten können, ganz gleich wie sehr ich möchte – prägende, und entsprechend wesentliche Erkenntnis und gelebte Erfahrung. Als Frau wurden mir die Konsequenzen meiner Wut und die Grenzen meiner Möglichkeiten früh schmerzlich bewusst gemacht. Für Amro Ali und Menschen, die ihm ähnlich denken und fühlen, scheinen Kompromisse eher wie Eingeständnisse, die man nur auf demütiges Bitten hin überhaupt machen kann: Das ist die exakte Umkehrung der repressiven Sozialisation, die Frauen allzu häufig erfahren – und ein rot-leuchtendes Merkmal patriarchaler Denkstrukturen, die wiederum eng an die Tradition von Eigentum gebunden sind.
Wer sich selbst so sieht, wer so voller Zorn ist, wer sich auf das Gefühl verlässt, ganz und gar im Recht zu sein – eben wie eine Naturgewalt -, und wer diesen Zorn zum ethischen Maßstab stilisiert, der braucht kein Gegenüber. Wer so denkt, braucht kein Israel als Verhandlungspartner und keine Israelis als Verbündete. Wenn das nicht Nationalismus ist – was dann?
Es ist nur unfair, dass Sie Amro Ali auf English sprechen lassen [er kann leider keinen Deutsch] und dann interpretieren Sie seine Aussagen und veröffentlichen Sie Ihren Artikel auf Deutsch…Schade