vonDaria Schweigolz 30.04.2024

Seele gegen Wand

Let's call it praktische qualitative Anthopologie

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Hier habe ich was zur Veranstaltung „Was heißt denn nun ’nie wieder‘?“ auf dem taz lab 2024 geschrieben – nun folgt eine feministische Interpretation. Beide Texte waren ursprünglich als ein großer Text geschrieben, aber ich bemühe mich darum, lange Brocken klein zu hauen.

Der einseitige Fokus des arabischen Soziologen Amro Ali ist ein gutes Beispiel dafür, wie wenig konstruktiv Podien oftmals sind, wenn sie den Raum für Israel-Kritik öffnen sollen.

Was hat eine misslungene Israel-Debatte mit dem Maskulinismus zu tun?

Palästinensischer Nationalismus kultiviert Aggression und die Ideologie der Vorherrschaft, auch wenn er sie natürlich nicht für sich gepachtet hat. Man merkt es daran, dass seine Fürsprecher*innen den andauernden Krieg – im Kopf wie auch mit Messern, Bomben und nun auch die extreme sexualisierte Gewalt – naturalisieren. Es wird als natürliche und somit alternativlose Reaktion auf die unliebsame – als unfair oder repressiv empfundene – Realität gedeutet.

Das Menschenbild, das dahinter steckt, schmeichelt überhaupt nicht: Wer möchte schon einer Gruppe angehören, deren junge Männer aus Wut oder relativer materieller Not schlimme Verbrechen begehen, kleinen Geschwister gefährden und ihr Zuhause in eine unumkehrbare Katastrophe stürzen?

Im Kontext der patriarchalen Glorifizierung toxischer Männlichkeit – wenn Männlichkeit und unkontrolliertes Gewaltpotential eng miteinander verbunden sind – ist das aber ganz logisch.

Was meine ich mit Naturalisierung von Gewalt und der Glorifizierung der toxischen Männlichkeit?

Wenn Amro Ali die Frage umgeht, wie Hamas, Hezbollah, Iran und reguläre Palästinenser, die an den Verbrechen des 7. Oktobers beteiligt waren, sanktioniert werden können, dann drängt sich die Parallele zur Kodierung der sogenannten ‚Ehrenmorde‘ geradezu auf. Ein ‚Ehrenmord‘ ist ein Femizid aus Kränkung. Gekränkt wird die Erwartung, dass die eigene Schwester oder Verlobte bestimmte kulturelle Regeln befolgt, das Überschreiten wird als Verrat oder als Unrecht empfunden. Die Gemeinschaft der Männer oder einige der involvierten Familienangehörigen mögen den ‚Ehrenmorden‘ gegenüber nicht enthusiastisch stehen: doch die legale und physische Dominanz, die Gewaltausübung, der Zorn gelten als natürliches Verhalten. Und man sanktioniert Natur nicht: mit Natur lebt man, nach der Natur richtet man sich, oder man fürchtet und flieht sie: jedenfalls sagt man nicht, ’sei so und nicht so‘.

Eine gekränkte Ehre und das gekränkte Gerechtigkeitsempfinden haben mehr miteinander zu tun, als man womöglich denken würde. „Unrecht“, „ungerecht“ sind nichts weiter als Labels, der Inhalt ist variabel je nach Sozialisation, Kultur oder kognitiven Besonderheiten. Die Kränkung eines regulären Hamas-Kämpfers kann darin bestehen, dass seine Schwester ohne sein Einverständnis einen Mann angesehen hat, die Kränkung eines arabischen Soziologen kann auch darin bestehen, dass Israel keine untergeordnete und passive Position in der hierarchischen Ordnung in der arabisch-dominierten Region einnimmt. Und auch die Aufarbeitung kann schwanken. Das Spektrum reicht von der Schaffung einer binationalen Schule bis hin zum Morden, was zeigt: Es kommt nicht nur darauf an, ob ich und Du ein und dasselbe ungerecht finden, sondern vor allem, wieso und wie.

Priorisierung der männlichen Wut

Sumaya Farhat-Naser beschreibt in ihrem Buch ‚Thymian und Steine‘, dass ihre sehr jungen Söhne bei den Intifada-Protesten mitmachen. Sie hat Angst um sie, kann ihnen aber aufgrund einer Art inneren Stimme – einer Blockade des Gewissens – nicht verbieten, mitzumachen, wohl wissend, dass sie sich damit in Gefahr begeben. Dieses Mindset wertet die männliche Wut höher, als die Frage der Konsequenzen, der sozialen Sinnhaftigkeit oder Rechenschaft seiner Mutter gegenüber. Hier kann eine Mutter bitten, aber nie verbieten, flehen und besänftigen, nicht aber durchsetzen. Und dass sich für Amro Ali die Frage nach den Sanktionen gegenüber den Terroristen des 7. Oktobers nicht stellt, zeigt, dass auch er der Naturalisierung der männlichen Wut und Gewalt nicht entwachsen ist.

Mich nervt das. Für mich sind Kompromisse – die Anerkennung der Tatsache, dass meine Geschichte, mein Narrativ nicht exklusiv gelten können, ganz gleich wie sehr ich möchte – prägende, und entsprechend wesentliche Erkenntnis und gelebte Erfahrung. Als Frau wurden mir die Konsequenzen meiner Wut und die Grenzen meiner Möglichkeiten früh schmerzlich bewusst gemacht. Für Amro Ali und Menschen, die ihm ähnlich denken und fühlen, scheinen Kompromisse eher wie Eingeständnisse, die man nur auf demütiges Bitten hin überhaupt machen kann: Das ist die exakte Umkehrung der repressiven Sozialisation, die Frauen allzu häufig erfahren – und ein rot-leuchtendes Merkmal patriarchaler Denkstrukturen, die wiederum eng an die Tradition von Eigentum gebunden sind.

Wer sich selbst so sieht, wer so voller Zorn ist, wer sich auf das Gefühl verlässt, ganz und gar im Recht zu sein – eben wie eine Naturgewalt -, und wer diesen Zorn zum ethischen Maßstab stilisiert, der braucht kein Gegenüber. Wer so denkt, braucht kein Israel als Verhandlungspartner und keine Israelis als Verbündete. Wenn das nicht Nationalismus ist – was dann?

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https://blogs.taz.de/seelegegenwand/maskulinismus-und-panarabischer-groessenwahn/

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kommentare

  • Es ist nur unfair, dass Sie Amro Ali auf English sprechen lassen [er kann leider keinen Deutsch] und dann interpretieren Sie seine Aussagen und veröffentlichen Sie Ihren Artikel auf Deutsch…Schade

    • Lieber Ben, das war der netteste und höflichste Kommentar heute, danke!

      Gleichzeitig teile ich Ihre Bedenken nicht: Herr Ali hat eine große Reichweite, er sprach vor mehreren 100 Menschen und er ist auch als Akademiker erfolgreich. Natürlich kann es sein, dass ich ihm Unrecht tue, jedoch ist es auch seine Aufgabe als Fürsprecher der Palästinensischen Sache in seinen Aussagen so klar zu sein, dass sie nicht missverstanden werden können. Anderenfalls würde bedeuten, dass er zu denen gehört, die Öl ins Feuer gießen.

  • Als Feministin werden Sie sicherlich auch über die Tatsache schreiben wollen, dass in Gaza über 10000 Frauen getötet wurden, dass schwangere Notkaiserschnitte ohne Narkose oder Schmerzmittel erleiden müssen und dann aus Mangel an Desinfektionsmitteln oft an der folgenden Infektion sterben, dass Frauen ganz besonders unter dem Hunger und Wassermangel der Belagerung leiden, oder ganz einfach nur, dass sie seit Monaten keine Hygieneartikel mehr haben. Stattdessen echauffieren Sie sich lieber über Ehrenmorde, deren Zusammenhang zum vorliegenden humanitären Katastrophe eher halluziniert scheint. Vielleicht sollten Weiße Feministinnen wie Sie einmal nicht-weißen Feministinnen zuhören, wenn es um diese Themen geht. Leseempfehlungen: Angela Y. Davis, Mona Eltahawi oder Nadera Shalhoub-Kevorkian. Viel Erfolg

    • Lieber Herr Schneider,

      ich bin selbst ohne sauberes Wasser und ohne Hygieneartikel aufgewachsen – was schlimm ist, sicher aber nicht ganz so schlimm, wie zu Tode vergewaltigt zu werden oder auch durch Bombardements zu sterben; als Feministin kann ich aber nicht über alles schreiben, ich habe noch Hausarbeit zu erledigen, Geld zu verdienen und mich und mein Kind zu versorgen. Da Sie als stolzer Inhaber eines Doktortitels vermutlich auch finanziell besser gestellt sind, werden Sie sicher einen Weg finden, die Situationen konkreter Frauen zu verbessern. Viele Frauen sammeln Geld, um mit ihren Familien über die ägyptische Grenze zu kommen. Ich habe mich selbst zwei Mal an diesen Kampagnen beteiligt. Viel Erfolg!

      Ob ich weiß bin, oder inwiefern und was das bedeutet, können Sie mit Sicherheit nicht beurteilen. Auch bin ich nicht darauf determiniert, Positionen aus dem US-amerikanischen feministischen Diskurs zu übernehmen, zumal sich in letzter Zeit gezeigt hat, dass er sich von den pro-islamistischen Positionen nicht klar abzugrenzen vermag und auf die interne europäische Geschichte nur Teilweise passt. Auch einige schwarze jüdische Frauen sehen sich in diesen Diskursen nicht vertreten.

      Zuletzt noch: ich echauffiere mich nicht über die Ehrenmorde der Hamas, sondern stelle eine Parallele zwischen patriarchaler Gewalt, Intifada und Dominanz-Gebaren arabischer Nationalisten. Das ist wahrlich kein so neuer und auch kein revolutionärer Gedanke.

  • This is an incredibly narrow-minded and uninformed take that betrays an internalised and normalised hate for Arabs, and specifically Arab men. I doubt it would have made a difference to you if a woman had delivered the talk, although it would have invalidated your irrational argument that reeks of racism and a sense of colonial supremacy. Perhaps it would be more honest if you were simply to state that 40,000 Palestinian lives are not worthy of any mourning; that they must not be humanised at all. Instead, a skewed argument is put forth to almost suggest that these numbers are ’statistical shields’ behind which Arab misogynists stand – do you hear yourself? I wish you healing therapy and a lot of education. Had I met your ancestors who had perpetrated the Holocaust, I would have wished them the same, too. Therapy would have done you all well, but all you got was Coca Cola.

    • Dear Mira,
      I am sorry I upset you. Please let me clarify that I am certainly NOT speaking about THE Arab men in general, rather about a culture, that allows both Intifada and violence against women. I believe that this culture is part of the problem when it comes to the persistence of the war. However, individual men make their own choices: certainly the vast majority of Palestinian fathers are loving and do not consider committing femicide; and many Palestinian men have in the past spoken out in favour of rapprochement with Israel instead of anti-Zionist war-propaganda, but have been repressed by Hamas. So: I am well aware that no culture is homogenous, rather a complex web amidst many other webs of experiences, values and interests.

      When it comes to mourning: due to a cultural and an language barrier its indeed easier for me to ‚distance myself‘ from the consequences of the war for Palestinians. I’m sure you’re familiar with this too: in the last few months in particular, ethnic cleansings of black people by Islamic militias took place, yet many sympathisers of the Palestinians haven’t been that concerned about it. The distribution of public interest is somehow unfair, but from an individual perspective it is natural that cultural proximity promotes empathy. I therefore do not want to claim that I mourn ‘the Palestinians’. Moreover, mourning is a subjective and very stressful process. My life has been characterised by loss, and my psychologist advises me to grieve less if I can.

      One final remark: criticising nationalist thought structures is completely normal in the modern left-wing context, so I am surprised at your indignation. I may be imprecise, as my analysis is based on fragmented information and randomised experiences. Your comment is all the more so. I invite you to read my other texts as well and to formulate your criticism more precisely in future.

      Shalom and Salam

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