Dieser Text ist eine spontane Antwort auf den taz-Artikel ‚Ende des Berliner Frühlings‘.
Ich werden versuchen, über mein Befinden hinaus zu gehen, und ich setze voraus, dass die allermeiten Menschen, die sich für den ursprünglichen Artikel oder für meine Antwort interessieren, irgendwie eine Überwindung der Gräben wünschen. Ich gehe auch davon aus, dass dasselbe für Yasmeen Daher, Steve Sabella, Fadi Abdelnour oder Fidaa al-Zaanin gilt, die im genannten Artikel zu Wort kommen.
Let’s start with the basics: die Geschichte und die Gegenwart im Nahen Osten produziert ununterbrochen biografische Brüche, physische und psychische Verletzungen, Verluste und auch Vertreibung. Ihr, Palästinenser*innen in Berlin, habt mit Sicherheit alle irgendwen oder irgendwas verloren – und das allein hinterlässt Spuren. Immigration ist immer eine Chance, aber irgendwie auch ein schmerzvoller Prozess. Und es gibt immer Gründe für Migration: vielfältige Gründe, die prägen, und andererseits werden wohl für die wenigsten Migrant*innen nach Deutschland alle ihre Träume wahr. Und dann noch der Rassismus in Behörden, die vielen Barrieren: eine Araber*in in Deutschland möchte ich nicht sein. Der mildere Rassismus meiner Mutter gegenüber, den ich hin und wieder beobachten muss, reicht mir eigentlich. Und es ist mehr als ok darüber zu sprechen, – und ich wiederum möchte mehr darüber erfahren.
Ich selbst habe dagegen nur kurze Zeit in Israel gelebt. Ich fühle mich dem Land deshalb verbunden, weil es das erste Land war, in dem mir als Kind volle Rechte zugestanden wurden, und in dem ich mich frei fühlen durfte. Ohne den israelischen Pass wäre ich in Russland gefangen gewesen, und weiß Gott wie es mir da als Teenagerin – Frau, nicht Nationalistin, mafia-avers – ergangen wäre. Sicher gibt es noch andere Gründe für meine Verbundenheit mit dem israelischen Staat, die Meisten kann ich selbst nicht in Worte fassen. Anders als viele Israelis, haben meine Eltern, Großeltern und Großgroßeltern nicht in Israel oder den benachbarten Ländern gelebt. Eure Eltern und Großeltern, Geschwister und Freunde schon. Ihr seid also so betroffen, wie die ‚echten Israelis‘. Und natürlich möchte ich wissen, wie es euch damit geht.
Auch Deutschland ist Heimat für jüdisches Erbe
At the same time möchte ich an Folgendes erinnern: bei allen Ungerechtigkeiten, bei allen Unzulänglichkeiten dieses Staates, bei allem Druck, der für Migrant*innen aus Rassismus in Behörden erwächst, – es gibt hier eine Verfassung. In gewisser Weise geht die Verfassung sogar historisch auf die kulturellen Strömungen, welche die Nazis aus der Welt schaffen wollten, weil sie ihnen zu eben zu jüdisch, kosmopolitisch und zu links waren.
Diese Verfassung ist erkauft mit dem größten Völkermord der Geschichte. Einem Völkermord, dem auch einige pan-islamistische Denker und Vordenker des palästinensischen Projekts positiv gegenüber standen. Einem Völkermord, der die Gruppe, der ich angehöre, erheblich reduziert hat. Und die palästinensische Flagge ist durchaus mit dem Bekenntnis zu diesem und auch künftigen Völkermorden verknüpft, auch wenn sich ihre Bedeutung nicht in ihnen erschöpfen mag. Das Gleiche gilt für die palästinensische Kufiya: ein Kulturgut, das von Arafat und seinen Weggefährt*innen zum Symbol des Terrors erhoben wurde. Wenn Kolonnen hupender Autos mit Victory-Zeichen aus den Fenstern durch die Straße fahren, dann fällt es mir schwer, in diesen Menschen, die hier ganz eindeutig ihre Macht demonstrieren, potentielle Verbündete zu sehen.
Was bedeutet die palästinensische Flagge, faktisch, heute
Ich weiß, dass es auch palästinensische Friedensaktivist*innen gibt. Sie haben stets unter schwierigen Bedingungen gearbeitet, und mir ist klar, dass ihre Familien nicht nur vom Terror der Hamas oder von Diskriminierung an den Grenzen betroffen sind, sondern vermutlich auch ganz unmittelbar vom Krieg. Und das ist tragisch.
Das Leben ist ungerecht, der Krieg umso mehr und trifft immer überwiegend unschuldige Menschen. Der Schaden – nicht nur „so und so viele Menschenleben“ heute, morgen, vorgestern, übermorgen – sondern auch die „Folgekosten“, die materiellen und die psychologischen, sind unermesslich. Deshalb wäre es ratsam, wenn der palästinensische Nationalismus vom Anzetteln weiterer Kriege absehen würde. Ihr wisst so gut, wie ich, dass die palästinensische Flagge nicht für eine freies demokratisches Gaza steht, das einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen hat, sondern für die ‚Rückkehr‘, also die gewaltsame Vertreibung der Israelis; und ihr wisst, dass die der palästinensische Nationalismus nicht von heute auf morgen zu einer demokratischen Bewegung für die Co-Existenz werden wird, auch wenn die Israelis es endlich geschafft haben, den irren Netanyahu loszuwerden.
Und die vielen palästinensischen Fahnen, schrecken die nicht auch manche Menschen ab? „Ich bin kein nationalistischer Mensch“, entgegnet die Medienmanagerin. „Aber ich kann einer Gruppe, die gegen ihre Unterdrückung kämpft, nicht vorschreiben, welche Fahne sie schwenken sollen. Das käme mir paternalistisch vor“ – insbesondere wenn man selbst einen Staat habe, der einem Rechte und Sicherheit gewähre. „Wir werden als eine homogene Gruppe dargestellt. Aber wir sind sehr unterschiedlich und haben verschiedene Meinungen“, betont [Yasmeen Daher].
(Ende des Berliner Frühlings – Palästinenser in Deutschland)
Passen die palästinensischen Fahnen denn zum Kampf „gegen die Unterdrückung“? Sollte jener denn nicht eine positive und inklusive, bessere Vision transportieren? Noch weniger, als eine Araberin oder Muslima in Deutschland, möchte ich ich in Gaza sein: Diskriminierung und kulturelle Barrieren sind scheiße, doch systematische Folter, sexueller Missbrauch und Hinrichtungen sind scheißer. Die palästinensische Flagge steht doch nicht für ein gemeinsames arabisch-jüdisches, säkulares Israel, für die Aussöhnung, Reparationszahlungen und andere Formen von Aufarbeitung und Wiedergutmachung. Ist es denn „Kampf gegen die Unterdrückung“, wenn man bei einer Demo in Großbritannien, Kanada oder Deutschland implizit oder gar explizit kommuniziert, dass im Kern jede Form von Gewalt gegenüber einer israelischen oder jüdischen Person tolerabel ist, mindestens aber komplett irrelevant?
Das ‚Recht auf Rückkehr‘ steht für die Vertreibung der Israelis und die Vernichtung ihres einzigen Staates. Mag sein, dass das nicht das Hauptanliegen einiger der Teilnehmer*innen der pro-palästinensischen Demos ist. Aber es liegt an ihnen, das eigene Anliegen unmissverständlich zu kommunizieren. Genau das – Kommunikation – ist die Funktion von Flaggen und Symbolen auf Demonstrationen. Die palästinensische Flagge kenne ich fast nur im Zusammenhang mit Islamismus, antisemitischen Parolen und ‚Antizionismus‘. Es liegt in der Hand der einzelnen Menschen – derjenigen Menschen, die in pro-palästinensischen Communities aktiv sind – eine Sprache zu entwicklen, die Räume für Aussöhnung öffnet, statt den Israelis immer wieder aufs Neue und in vielfältiger Art und Weise die Feindschaft zu erklären. Laut Wikipedia umfasst die arabische Bevölkerung 337 Millionen Menschen, 730 Millionen sprechen Arabisch; es gibt knapp 2 Milliarden Muslime. Was für eine Macht, was für eine Infrastruktur für potentiell friedensstiftende Ideen.
Ich höre viel Israel-Kritik, und ich höre und lese viele Klagen. Das Klagen ist mehr als berechtigt, wenn es nicht speziell Teil der ultrarechten Strategie ist, der medialen Kriegsführung des ultra-rechten palästinensischen Nationalismus oder der iranischen Propaganda.
Oft ist Kritik an israelischen Politiker*innen und Behörden berechtigt und es gibt fast immer auch mindestens eine israelische Stimme, die sich in den Chor der Kritiker*innen einreiht, weil sie* (oder er) an eine gemeinsame Zukunft jenseits von Krieg glaubt und radikal-konsequent universalistische Werte vertreten möchte. Denn Politik muss kein Nullsummenspiel sein, aber wer ultra-rechte Ideologien vertritt, hat sich für das Nullsummenspiel entschieden und gegen all die potentiellen Synergieeffekte, die eine gemeinsame Zukunft bringen könnte.
Aber ich stoße selten auf palästinensischen Stimmen, die sich die Mühe machen, die Gegenseite – also zum Beispiel mich als teilweise Betroffene, oder – noch besser – Menschen, die in Israel tatsächlich leben oder gar an der Waffe dienen – wirklich zu verstehen. Das meint: ich finde sie, wenn ich sie suche – wie beispielsweise Lucy Aharish, eine bekannte palästinensisch-israelische Journalistin und Zionistin. Aber solche Stimmen werden nicht annähernd so bereitwillig vervielfältigt; nein, sogar zugebrüllt und denunziert.
Die große Masse aller Appelle, Anklagen und Erwartungen richten sich stets an das 7 Mio. Volk mit einem Land in der Größe von Brandenburg. Die Israelis sollen die Sicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung der Palästinenser*innen gewährleisten, sie aber auch ganz in Ruhe lassen. Sie sollen Grenzen weniger kontrollieren, aber zugleich soll nicht-israelisches Palästina ein eigenes Land werden, Israel soll die Hamas nicht mit Gewalt bekämpfen und die PLO nicht unter Druck setzen, aber auch keine Mauern bauen und die Hamas nicht bestechen. Die Israelis sollen den Strom nicht abstellen, auch wenn der Krieg ausgebrochen ist, und der israelische Staat soll Palästinenser*innen als gleichberechtigte Bürger*innen behandeln, auch, wenn sie gar nicht die Staatsangehörigkeit haben und vielleicht gar nicht den Pass für sich beanspruchen, sondern eher mit der Idee der Zerschlagung des „zionistischen Staates“ liebäugeln. Und schließlich: man soll Palästinenser*innen nicht für eine homogene Gruppe von Antisemit*innen halten, die den Terror der Hamas unterstützen, – aber der Widerstand sowohl der emigrierten Palästinenser*innen gegen die rechte Ideologie des palästinensischen Nationalismus tritt nicht zu Tage, während der Widerstand der Palästinenser*innen gegen die rechte Ideologie im eigenen Land gefühlt totgeschwiegen wird.
Es sollte euch klar sein, dass diese Forderungen in ihrer Bandbreite und Widersprüchlichkeit nicht erfüllbar sind. Wenn ihr, wie ich, an den Frieden und Gleichheit glauben wollt, müsste es euch doch an einer gemeinsamen Basis liegen: denn es gibt keine andere Alternative zu Krieg, nur das Miteinander auskommen. Und es kann keine Ko-Existenz geben ohne einen sachlichen Blick auf die Situation und ein offenes Ohr für die Belange der Anderen.
Und dennoch: pro-palästinensische Demonstrationen und Veranstaltungen bieten beinhalten keine Appelle an den Iran, an Hezbollah, an Hamas. Es wird nicht thematisiert, dass die PLO weiter für Messeranschläge, oder dass es zur Strategie von Hamas dazugehört, dass so viele Zivilist*innen sterben, wie nur möglich. Und es wird konsequent ignoriert, dass ein 7-Mio. Volk schlicht nicht nicht in der Lage sein kann, einen komplexen multilateralen Konflikt zu beenden, in dem Islamisten aus aller Welt begeistert zündeln.
Das zeigt zweierlei. Erstens: aus meiner Sicht – aus der Sicht einer Angehörigen einer winzigen Minderheit, – drückt sich darin eine Hegemonialstellung aus. Wer sie inne hat, muss keine Mühe aufbringen, die Gegenseite zu verstehen: das ist ein typisches Merkmal der imperialen Mentalität. Und in diesem Kontext mag es auch eine unverständliche Kränkung sein, wenn der deutsche Staat Grenzen setzt. Zweitens: dass pro-palästinensische Demonstrationen immer auch anti-zionistisch sind, bestätigt nochmal den nationalistischen und der völkischen Charakter Proteste: Muslim*innen oder Araber*innen, die aus welchen Gründen auch immer mit Israel sympathisieren – ganz gleich wie durchdacht diese Position auch sein mag – zählen dann nicht mehr zu der großen Mehrheit, denn Ideologie, ethnische und politische Identität sind eng verknüpft, es ist kein Spiel übrig. So gesehen symbolisiert die Flagge – die palästinensische Flagge -, Dominanz und ganz offenbar auch den ersehnten endgültigen Triumph des palästinensischen Nationalismus über die Juden.
Die Idee, dass Palästinenser*innen ein natürliches Recht auf das Land dort haben, aber ‚wir‘ – Juden, Israelis, Minderheiten – kein solches Recht auf politische Selbstbestimmung in der Region haben, ist keine Grundlage für Frieden, Aufarbeitung und Aussöhnung. Und leider fehlt es – aus meiner Sicht – den pro-palästinensischen Communities und Gruppen an Bereitschaft, die eigenen maskulinistischen und imperialistischen Denkmuster zu hinterfragen und gehen zu lassen.
Wie moralisch integer ist es, und welchen Sinn soll das haben, in einem säkularen und demokratischen Land dieselbe Flagge zu schwingen, wie die Hamas-Sympathisanten? Männliche Gewalt von Islamisten, – die ja als einzige Partei ganz und gar ein genuines Interesse an der Weiterführung der Kriege haben – zu bagatellisieren, ist fatal; und es ist ganz offensichtlich nicht moralisch integer, einer völkischen Ideologie Vorschub zu leisten, die einen Krieg 3000km weiter anheizt, während man selbst weitgehend in Sicherheit ist. Und schließlich: wer kann eine eigene, produktive, anschlussfähige Positionen finden, wenn nicht die pro-palästinensischen Communities selbst im Diskurs miteinander?
Was die palästinensische Flagge für mich bedeuten könnte
Mag sein, dass ich hier und da etwas missverstehe. Ganz sicher habe ich nur sehr bedingt Zugang zu den direkt Betroffenen Menschen mit ihren Schicksalen, mit den Geschichten ihrer Familien. Ich versuche ja, die Zwischentöne zu hören. Ich suche nach ihnen: aber das ist zwischen antizionistischen Parolen, weltweiten, überwältigend großen antisemitischen Demonstrationen und angesichts der extremen gezielten – nicht kollateralen – Gewalt gegen israelische Zivilist*innen, insbesondere Kinder, echt schwer. Und es ist eben einfacher, den Rassismus in Israel oder in Deutschland anzuprangern, als das Weltbild der zum Teil rechtsgesinnten oder pro-islamistischen pro-palästinensischen Communities aufzuarbeiten.
Nur: dann bleibt alles beim Alten. Die Liste der Toten wird von Tag zu Tag länger, während man eben die eigene Flagge schwenkt. Es bleibt ein Nullsummenspiel.
Vor vier Jahren habe ich einen meiner jetzigen Freunde kennengelernt. K* kam aus Syrien und ist Kurde. Spontan stellte er mir einen Bekannten vor, per WhatsApp Videochat: ein junger Mann, der aus Gaza geflohen ist, weil die Hamas seinen Vater einkassiert hat. Sein Verbrechen: er sprach sich für die Zwei-Staaten-Lösung aus und für einen Frieden mit den Juden. Dieser junge Mensch floh also nach Deutschland und lebte hier als Flüchtling in einem Heim. Er schlug vor, dass wir ein Foto aufnehmen: er mit seiner Flagge und ich mit der israelischen. Leider habe ich das Foto nicht gemacht, und jetzt kann ich den Kontakt nicht mehr herstellen. Ich bin dennoch dankbar für diese Begegnung: sie hat mir eine neue Perspektive ermöglicht.