vonFabian Schaar 30.12.2022

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Ein Blog zu Politik, Gesellschaft und dem Dazwischen: Vielleicht ändert sich ja doch noch was?

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Eigentlich wollte ich, als Elon Musk, der reichste Idiot der Welt, Twitter übernommen hat, wütend, wie ich war, einen Text darüber schreiben. Mittlerweile bin ich irgendwie froh, doch nicht dazu gekommen zu sein und glaube, dass es so besser war. Immer, wenn ich einen politischen Text schreibe, habe ich irgendein Thema, was mich aufregt. Dadurch werden die Texte häufig sehr negativ. Aber, auch wenn ich keine wirklichen Lösungsvorschläge für die Probleme unserer Zeit anbieten kann, bleibt mir immer noch die Chance, mich im Internet gehörig aufzuregen. Damit bin ich vermutlich auch keine Ausnahme.

Was Elon Musk und die Plattform, die einen Vogel hat, angeht, freue ich mich irgendwie, nichts dazu geschrieben zu haben. Spätestens jetzt, mehrere Monate nach Ankündigung und Ausführung der Übernahme liefert Twitter täglich neue Schlagzeilen, die mich Tag ein Tag aus immer wieder aufheitern. Es ist lustig mit anzusehen, wie Twitter immer weiter im Sumpf der Bedeutungslosigkeit versinkt und sich dabei wunderbar lächerlich macht.

Angefangen bei dem Desaster mit den blauen „Verifizierungs“-Haken, über die täglichen Stimmungsschwankungen Musks, bis hin zur Tatsache, dass die wenigen verbliebenen Twitter-Mitarbeiter jetzt Klopapier mit zur Arbeit bringen: Ich habe lange nicht eine derartig große Schadenfreude bei mir beobachten können.

Sicherlich wird Twitter jetzt zu einer gefährlichen Echokammer für die Verwirrten, die die Seite noch nutzen, zwischen ein paar verbliebenen Unternehmenskonten und den letzten fünf noch nicht gesperrten Journalist*innen. Spaß beiseite, ich weiß wirklich nicht, wie ich die Zukunft von Twitter einschätzen soll, muss ich ja auch nicht. Es ist jedenfalls spannend mit anzusehen, wie Twitter immer bedeutungsloser wird und Musk seinen in den Sand gesetzten Millionen hinterher trauert. Es macht großen Spaß mit anzusehen, wie Twitter untergeht, mal schauen, wann Musk das sinkende Schiff verlässt.

An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal Werbung machen für das Fediverse. Das ist ein Zusammenschluss verschiedenster freier sozialer Netzwerke, am bekanntesten ist spätestens seit der Muskokalypse wohl Mastodon geworden. Das Fediverse könnte vor allem für diejenigen interessant sein, die sich nach dem unglaublich lustigen Trauerspiel namens Twitter nach einer wirklich sozialen Plattform umsehen, die diese Bezeichnung nicht nur aus Marketinggründen trägt.

Im Fediverse hat sich der Ansturm, den die Twitter-Übernahme ausgelöst hat, stark bemerkbar gemacht. Als ich vor etwa eineinhalb Jahren mein erstes Mastodon-Konto erstellt habe, war es auf der Plattform deutlich ruhiger. Heute sind es nicht nur Nerds, die die Plattform für sich entdecken; diese Tatsache hat sich ersteinmal ungewohnt angefühlt, objektiv betrachtet war das aber zu erwarten und ist natürlich begrüßenswert.

Ich für meinen Teil habe, bevor ich mich vorsichtig ins Fediverse getraut habe, nicht wirklich gute Erfahrungen mit sozialen Medien gesammelt: Immer wieder hatte ich das Gefühl, auf einer einzigen Selbstdarsteller-Seite gelandet zu sein, wenn ich mir Instagram anschaute, immer wieder kam es mir vor, als ob Twitter einfach ein Ersatz für Hexenjagden im digitalen Zeitalter war (und vielleicht auch noch ist).

Trotz den interessanten Aspekten des Fediverse und den guten Erfahrungen, die ich dort sammeln durfte, frage ich mich, ob es wirklich so nötig ist, soziale Medien überhaupt zu nutzen. Gerade in meiner Generation wird man oft schief angeschaut, wenn man offen sagt, dass man kein Instagram und erst recht kein TikTok nutzt.

Je mehr ich über die Twitter-Übernahme nachgedacht habe, desto mehr habe ich mich gefragt, ob ich soziale Medien tatsächlich in meinem Leben brauche. Immerhin hat es sich nach jedem gelöschten Account, egal ob bei Twitter oder Instagram oder sonst wo, nach einer ziemlichen Befreiung angefühlt. Das, was einige an angeblich sozialen Medien gut finden, sehe ich eher negativ.

Immer wieder wird das Potenzial sozialer Medien hervorgehoben, Menschen im Web verbinden zu können: Die Frage ist aber, ob das wirklich ein Vorteil ist. Wollen wir mit allen verbunden sein? Wollen wir zentrale Aspekte des gesellschaftlichen Lebens auf nicht selten kommerziell geführte Plattformen verlagern, von denen aus der Sicht eines Außenstehenden eine schlimmer als die andere zu sein scheint?

Als Donald Trump US-Präsident war, kamen seriöse Medien teils nicht mehr hinterher, die unzähligen Lügen und offensichtlich dummen Aussagen des Populisten zu korrigieren. Und doch haben seine Tweets sich wie ein Lauffeuer verbreitet: Dass in 240 Zeichen, oftmals in durchgehenden Großbuchstaben, keine sinnvolle politische Aussage sondern höchstens eine Parole passt, sollte doch klar sein, oder?

Dass in ein Instagram-Bild nicht sonderlich viel tiefgehender Inhalt gesteckt werden kann, liegt nicht daran, dass es niemand versuchen würde. Im Gegenteil. Es ist irgendwie schade, dass es ganze Redaktionsteams gibt, die journalistische Inhalte für angeblich soziale Netzwerke in mundgerechte aber zusammenhangslose Stücke reißen.

Vielleicht liegt es auch an mir, aber je länger ich über die großen, kommerziellen Social-Media-Seiten nachdenke, desto größer wird mein Misstrauen ihnen gegenüber. Natürlich kann ich nicht verlangen, dass alle, die heute soziale Netzwerke nutzen, ihre Gedanken stattdessen in einen etwas längeren Text verpacken und auf irgendeinem Blog hochladen. Für mich allerdings wird das klassische, lange, vielleicht etwas schnöde Bloggen – ohne Bilder – immer und immer angenehmer, je mehr ich merke, dass das Potenzial, das ich mal in sozialen Netzwerken gesehen habe, vielleicht doch nicht darin steckt.

Am Ende des Tages ist es ja auch egal. Dieser Text wird mit einer ziemlichen Sicherheit kaum jemanden, wenn nicht niemanden umstimmen, was sein oder ihr Verhalten im angeblich sozialen aber in der Realität hauptsächlich kommerziellen Teil des Internets angeht. Sicherlich ist es an einem gewissen Punkt auch egal, was ich hier reinschreibe.

Den globalen Trend, persönliche Daten auf die Server von Großkonzernen hochzuladen, kann ich so nicht aufhalten. Und doch kann ich ja drüber schreiben. Denn: Auch wenn ich keine wirklichen Lösungsvorschläge für die Probleme unserer Zeit anbieten kann, bleibt mir immer noch die Chance, mich im Internet gehörig aufzuregen. Und damit bin ich vermutlich keine Ausnahme.


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