vonFabian Schaar 28.04.2021

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Politik, Gesellschaft und das Dazwischen.

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Basisdemokratie ist schon eine feine Sache, immerhin ist sie eine der konsequentesten Ausführungen der demokratischen Grundsätze und setzt da an, wo es nötig und richtig ist: An den Problemen der Menschen selbst, die gleichberechtigt über Lösungsansätze entscheiden können.
Die Geschichte hat gezeigt, das basisdemokratische Ansätze – mindestens in einem kleinen Rahmen – gut funktionieren können. Beispielsweise wurden im spanischen Bürgerkrieg 1936-39 basisdemokratisch-anarchistische Ansätze erfolgreich ausgetestet, bis Francos faschistischer Schlägertrupp der Selbstverwaltung ein Ende setzte.

Basisdemokratie ist also möglich – aber in welchem Umfeld, in welchem Maß? Immer wieder wird gegenargumentiert, eine basisdemokratische Entscheidungsfindung sei vieeel zu aufwändig, ja nahezu bürokratischer Irrsinn. Stellt sich also die Frage: ist es das wert? Ist uns als Gesellschaft wert, Mehraufwand für die Beteiligung aller und zwar gleichwertig und andauernd aufzubringen?

Warum bitte nicht? Alles andere steht meiner Meinung nach der Emanzipation des Menschen im Weg! Sollten wir die Zeit, die wir dafür verschleudern uns fadenscheinige Begründungen gegen Basisdemokratie ausdenken nicht besser dafür verwenden, ebenjene Zweifel ungültig zu machen?

Es braucht gerade in einer schnelllebigen Zeit wie der heutigen den Blick in die Zukunft und die Verneinung der unzureichenden Gegenwart. Die Verneinung einer Gegenwart, in der Menschen zu Hungerlöhnen schuften und wenige immer Reicher werden, in der Frauen und die dritten Geschlechter angeblich weniger wert sind als Männer – immerhin werden erstere und zweitere doch systematisch und tiefgreifend benachteiligt –, in der Menschen aufgrund von Nichtigkeiten diskriminiert werden.

Jetzt braucht es einen Blick nach vorn, die Entwicklung neuer Ideen und die Weiterentwicklung alter Ideen, damit im Status quo als „realitätsfern“ diffarmierte Ideen zur Realität werden.

Häufig wird gegen basisdemokratische Ideen vorgebracht, (Rechts-)Populistische Gefahren würden das ganze Konzept in sich zusammenfallen lassen. Und ja, das stimmt.
Was nun aber tun: Das Recht auf umfassende Mitbestimmung begraben? Wäre es nicht sinnvoller, gemeinschaftlich, aufklärerisch über Bildung dem rechten Populismus entgegenzutreten, frei nach dem Motto: Alles was wir sind, ist das Ergebnis von dem, was wir gedacht haben?
Anders gefragt: Sollte nicht die Gemeinschaft der vielen vor den wenigen braun-blauen Schreihälsen stehen?

Eine andere, womöglich effektivere Möglichkeit sowohl Rechtspopulismus als auch einer schieren Unübersichtlichkeit der Entscheidungen aus dem Weg zu gehen wäre eine umfassende föderal strukturierte Entscheidungsfindung: Anstatt eine ohnehin sozial unglaublich gespaltene Gesellschaft – eine zu bersten drohende soziale Schere zwischen Arm und Reich – von oben nach unten, autoritär zu strukturieren braucht es eine politische Gleichberechtigung, die der sozial gleichen Gesellschaft zu Gute kommt, aber auch von dieser abhängt.

Föderalismus ist als Prävention gegen die Zentralisierung politischer Macht unabdingbar, kann aber auch zu einer Chancenungleichheit in Sachen Bildung führen, was eine Selbstbestimmung des Menschen immer und immer schwerer macht.
Es kommt also darauf an, wie Föderalismus umgesetzt wird: Entweder als Aufspaltungsinstrument der Menschheit gegen sich selbst, durch die kleine Gruppen ihr eigenes Süppchen kochen, was am Ende nicht gut schmeckt – ich sage nur: 16 Schulsysteme…
Oder aber Föderalismus wird als Mittel der Dezentralisierung von politischem Einfluss gebraucht, nur dass nicht jede_r gegen alle anderen arbeitet, sondern alle gemeinsam an einem großen Suppenkessel herumkochen, der vielfältig zusammengestellt viel schmackhafter und bekömmlicher ist, als tausende von Tellern mit ekliger Brühe – und das Beste: Jede_r darf davon essen!

Kurz gesagt:
Wollen wir einen imaginären Strick zum Tauziehen gegeneinander benutzen und kein Stück voran kommen oder alle zusammen als Menschheit daran ziehen – nicht etwa als kleine Gruppe von Regierenden sondern mit der Kraft möglichst vieler – um Probleme wie den Klimawandel oder aufkommende Pandemien zu lösen?

Doch wichtig zu betonen ist auch: Für eine wirklich gleichberechtigte, selbstbestimmte Gesellschaft, für die Erreichung der vollständigen Emanzipation des Menschen braucht es ein anderes Wirtschaftssystem als das jetzige, in dem Wenige durch den Besitz von notwendigen Produktionsmitteln, wie beispielsweise den Küchenutensilien für das Kochen der symbolischen Suppe, eine unglaubliche repressive Macht über andere ausüben können und dafür sogar mit immer mehr Geld belohnt werden. Es braucht ein anderes Wirtschaftssystem als eines, dass das Ausstechen von anderen zum eigenen Vorteil für nötig, nein, richtig erklärt, anstatt zu erkennen, dass wir zusammen weiter kommen.

Es liegt also an uns, etwas zu verändern, die heutige Gesellschaft funktioniert nicht wie ein unumstößliches Naturgesetz.
Egal ob Basisdemokratie oder anderweitige Emanzipation: Die Möglichkeiten bestehen, wir müssen sie nur sehen und nutzen!


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