Die SPD übt sich auf ihrem Parteitag in Geschlossenheit. So erfährt man es zum Beispiel aus der Tagesschau vom 9. Dezember 2023. Der „minutenlange Applaus“, den Olaf Scholz auf der Parteiversammlung bekommt, geht durch alle politischen Medien. Das ist ja auch logisch, gerade jetzt, da die SPD sich eigentlich in einer Krisensituation befindet – nicht anders als Scholz selbst. Auf dem Parteitag erntet der Kanzler jedenfalls Applaus für Bekenntnisse zum Sozialstaat und zur Ukraine. Klar, Kritik gibt es auch von den Parteidelegierten – aber diese ist nicht der dominierende Eindruck, den die SPD vermittelt. Angesichts der gesellschaftlichen Unzufrieden mit Partei und Politiker kommt Scholz hier anscheinend doch gut davon. Eine Frage bleibt aber: Wann werden Lippenbekenntnisse eigentlich zur Wirklichkeit?
Wenn ich über die SPD nachdenke, kommt mir zuerst eine historisch gewachsene, soziale Partei in den Kopf. Verwurzelt in der demokratischen Arbeiterbewegung, gewachsen durch das zwanzigste Jahrhundert hinweg: Das ist das Bild, das sich bei mir formt, wenn ich an die SPD denke. Große Namen wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt folgen gleich darauf. Historisch ist die SPD eine Partei, die angesichts ihrer langen Geschichte vergleichbare politische Kräfte sucht, die wohl insbesondere eines ist: Etabliert.
Aber gibt es diese SPD heute noch immer? Oder ist sie nur eines: Ein historisches Bild, das sich im Grunde nur noch in den Geschichtsbüchern finden sollte? So ein erster Eindruck als Hintergedanke mag wichtig sein. Aber wenn ich über die SPD nachdenke, kommen eben auch andere Kapitel ihrer Geschichte auf, die vielleicht weniger zu dem idealisierten Bild einer kämpferischen Arbeiterpartei passen: Von Burgfrieden bis Hartz-IV; die SPD kann auch anders.
Ich bin zu jung, um die SPD als „historische Partei“ erlebt haben zu können. Ich bin womöglich politisch zu unerfahren, um mich über jede Kleinigkeit auszulassen, für die die SPD heute steht oder auch nicht. Es wäre anmaßend, Berufspolitikern abzusprechen, dass sie sich mit den heutigen politischen Zusammenhängen auseinandersetzen. Allerdings hat sich neben der historischen SPD auch das Bild der aktuellen Kanzlerpartei in meinem Kopf festgesetzt. Das Bild politischer Führungskräfte, die ihre Entscheidungen nicht kommunizieren, die deswegen in Umfragen abgestraft werden.
Am 21. Oktober 2023 zitierte der SPIEGEL den Bundeskanzler auf dem Titelbild der damals aktuellen Ausgabe des Wochenmagazins mit den Worten: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“. Schon im Oktober gab es heftige Diskussionen um dieses Cover, vielmehr noch um die Aussage von Scholz, die darauf prangte. In meiner Social-Media-Blase reichten die Emotionen dazu von Wut bis zu Unverständnis – und mir ging es nicht anders. Ist es nicht paradox, dass eine CDU-Kanzlerin mit den Worten „Wir schaffen das!“ in die Geschichte eingeht, und der Kanzler einer sozialdemokratischen Partei mit gegenteiligen Aussagen? Nicht ohne Grund wird Scholz für derartigen Populismus jetzt von den Jusos auf dem Parteitag gescholten.
Was ich aus der Geschichte mitnehme, ist eine gewisse Hoffnung gegenüber der SPD. Die Hoffnung, dass sich die Partei auf ihre historische Rolle, auf ihre sozialen Werte zurück besinnt. Dass die SPD ihrem eigenen Namen gerecht werden und tatsächlich sozialdemokratische Politik umsetzen könnte. Die Bekenntnisse Scholz’ auf dem Parteitag sprechen für diese Hoffnung, es ist verständlich, dass sie der SPD-Basis gefallen. Ob sie aber Auswirkungen auf die konkrete Politik des Kanzlers haben werden, bleibt doch abzuwarten.
Angesichts der vielen Krisen, die die Welt aktuell rütteln, wären soziale Antworten hilfreich. Jetzt, da Rechtspopulisten auf der ganzen Welt nach der Macht greifen, würden demokratische Perspektiven ein gutes Zeichen senden, einen Lichtblick. Soziale und demokratische Werte – ich dachte eigentlich, diese Aspekte wären der Kern der SPD. Vielleicht wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um einen solchen auch zu beweisen.
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