Der Eintrag, den ich zuletzt auf diesem Blog veröffentlicht habe, wird in der Kommentarsektion rege diskutiert. Gerade da sich der Artikel „Krieg“ vom 25.2. mit einer Perspektive angesichts zukünftig drohender Kriege und einer entsprechenden Einschätzung des Ukrainekriegs befasst, ist eine solche Diskussion sehr angebracht. In diesem Beitrag möchte ich auf einen Leserkommentar von Gerhard Gebhard eingehen.
Bevor ich zu diesem Leserkommentar komme, erst einmal etwas Grundsätzliches: Auf other society erscheinen regelmäßig kontroverse Artikel. Daher versuche ich, möglichst alle Leser*innenkommentare freizugeben, ausgenommen sind nur solche, die unbegründete Beleidigungen oder Unterstellungen beinhalten (bisher ist das zum Glück nur einmal vorgekommen). Leider habe ich nicht die Zeit, auf alle Kommentare ausführlich einzugehen.
Gerhard Gebhard schrieb am 1. März:
„Ich kann vielem zustimmen, aber nicht dem letzten entscheidenen Satz. Denn sie sind diejenigen, die die Folgen nicht konsequent genug umgesetzter Diplomatie erleiden. [Zitat aus dem Beitrag Krieg] Nach meiner Einschätzung ist der Satz falsch. Der Krieg ist die bewußte Tat eine narzistischen, maskulin überbetonten Herrschrs namens Putin. Wir hatten in Deutschland auch schon mal so etwas mit schrecklichen Folgen für die Welt. Der obige Satz ist in meine Augen auch eine Verharmlassung dieses/des Krieges im allgemein. Ich bin gespannt auf Vergleichen zur Appeasementpolitik in den 1930\’ern.“
Zunächst einmal möchte ich eines klar sagen: Putins Politik ist die des Aggressors im Ukrainekrieg – das zu leugnen ist nicht möglich und war auch nicht meine Intention. Sicherlich hätte der Schlusssatz des Artikels eindeutiger sein können. Doch neben der klaren Verurteilung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Putins ging es mir in meinem Eintrag auch darum, die Rolle des Westens zu dessen Entstehung einzuordnen.
Ich stimme zu: Der Angriffskrieg lässt sich nicht mit einer sinnvollen politischen Argumentation begründen, das ist bei keinem Angriffskrieg möglich. Doch Kriege sind nichts neues und kein Gesetz der Natur. Kriege rühren immer aus politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen her, und gerade an diesem Punkt sollte Diplomatie meiner Ansicht nach einsetzen.
Die Politik Putins bleibt die seiner nationalistischen Agenda, ausgeführt in seinem kaltblütigen, kalkulierenden Politikstil. Und doch kommt die russische Invasion nicht aus dem Nichts.
Putin selbst bezeichnete den Zerfall der Sowjetunion 2005 als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“; Zitate wie diese sind es, die Einblick geben in die Beweggründe Putins: Die Sowjetunion war in der längsten Zeit ihrer Existenz kein Staat der Ideale. Gleichheit, Gleichberechtigung und Frieden setzte der diktatorische Staat wenn überhaupt als Schlagworte in Parolen ein.
Aber: Die Sowjetunion hatte ihre Stellung als Weltmacht, als klarer und nicht selten ebenbürtiger Gegner der vereinigten Staaten. Ein Blick auf die nationalistische Politik Putins zeigt meiner Ansicht nach, was Putin wirklich hinterhertrauert, wenn er von der Sowjetunion spricht: Macht.
Auch im Krieg in und um die Ukraine ist Macht nach meiner Einschätzung ein zentrales Stichwort für Putins Handeln. Meiner Ansicht nach fürchtet Putin demokratische Entwicklungen in der Ukraine und womöglich auch die Ausweitung der Macht der NATO.
Dass Putin den Angriff auf die gesamte Ukraine angeordnet hat und sich voraussichtlich (natürlich kann auch ich die zukünftigen Entwicklungen nicht in Gänze abschätzen) eben nicht mit einem Kompromiss oder der Abspaltung der selbsternannten Volksrepubliken auf dem Gebiet der Ostukraine zufrieden geben wird.
Putin trauert dem Einfluss der Sowjetunion in der Welt hinterher, nicht dem Kommunismus beziehungsweise dessen Grundsatz der Gleichheit. Und genau hier kommt die Rolle des Westens ins Spiel: Ja, Putins Verhalten kann dieser Tage als narzisstisch gesehen werden – doch welchen Einfluss hat es, wenn der einflussreichste Teil des Westen, die USA, Russland als „Regionalmacht“ bezeichnen (Zitat Barack Obama, 2014)? Ich glaube nicht, dass derartige Aussagen auf den allgemeinen Konflikt des Westens mit den ehemaligen Ostblockstaaten? Ich glaube nicht, dass so etwas zur Deeskalation beiträgt, die es schon seit Jahren gebraucht hätte.
Und diese Aussagen liegen nicht immer acht Jahre zurück: Die Aussagen Obamas gehen in eine ähnliche Richtung wie die seines ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden, der noch in der Verhandlungsphase vor Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands die Pipeline Nord-Stream 2 auf Eis legen wollte, obwohl so gar nicht in seinem Zuständigkeitsfeld liegt, noch bevor die deutsche Bundesregierung derartige Sanktionen ankündigte.
Sicher, die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gasimporten ist zu groß und ja, die unethische Lobbyarbeit beispielsweise des Bundeskanzlers a. D., Gerhard Schröder ist äußerst verwerflich, doch: Auch die USA haben wirtschaftliche Interessen, wollen beispielsweise ihr Fracking-Gas verkaufen.
Daher beschreibe ich in meinem Artikel auch die Notwendigkeit eines diplomatisch neutralen Europas, oder mindestens diplomatisch neutralen Deutschlands: Sollte der Krieg in der Ukraine nicht zu einem atomaren eskalieren, wird er nicht der letzte sein, sollte der derzeitige Status quo in dieser Hinsicht einfach aufrecht erhalten werden. Langfristig muss die Wurzel des Problems, das Kriege hervorrufen oder weiter in die Eskalation treiben kann, erkannt werden.
Deshalb möchte ich auch meine Forderung nach einer tiefgreifenden Veränderung und der perspektivischen Überwindung des nationalstaatlichen Systems hervorheben, dass die Menschheit eher spaltet als dass es zu irgendetwas beiträgt.
Mit dem Schlusssatz des Artikels „Krieg“ wollte ich keinesfalls den Ukrainekrieg verharmlosen. Wie sich dieser in der nächsten Zeit entwickeln wird, bleibt abzuwarten – so auch historische Vergleiche.
Abschließend möchte ich allen danken, die sich an der Diskussion zu diesem und allen anderen Einträgen dieses Blogs beteiligen und einmal mehr meine Solidarität gegenüber den Menschen in der Ukraine ausdrücken.
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