vonFabian Schaar 31.10.2021

other society

Ein Blog zu Politik, Gesellschaft und dem Dazwischen: Vielleicht ändert sich ja doch noch was?

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Zwischen Selbstdarstellung und Kurznachrichten-Kauderwelsch, Instagramrabattcode und dem ein oder anderen Datenleak kann mensch schnell den Glauben an ein Internet der freien Kommunikation, des etwas anarchischen, unzensierten und unbehelligten Austauschs von Meinungen, Informationen und digitaler Hilfe, abhanden kommen.

In einer digitalen Welt, die von immer wenigeren, dafür (leider) umso größeren und mächtigen Monopol- und Oligopolkonzernen beherrscht wird, fällt die Suche nach Freiräumen zunehmend schwerer. Und die ein oder andere Gesetzgebung tut ihr „Bestes“, diese Zügelung eines freien Internets zu beschleunigen, wenn etwa Uploadfilter beschlossen und auf europäischer Ebene durchgesetzt werden.

Wo bleibt der kulturelle, interessante Teil des World Wide Webs, wenn nicht ganz auf der Strecke? Wo existieren (noch) digitale Infrastrukturen, die eben nicht den kapitalistischen Trend von Plattformen wie Instagram, TikTok oder der Datenkrake Facebook mit gehen?

Auch wenn es die*den ein oder andere*n verstimmen könnte: Die jetzigen Entwicklungen des Netzes, in ihrer Bandbreite von Selbstoptimierung bis Fremdenhass, gehen meiner Meinung nach auf die Strukturen der jeweiligen Plattformen zurück.

Auf Instagram beispielsweise geht es nicht um Inhalte und Austausch, es geht um Personen und Persönlichkeiten. Nicht das, was gepostete Bilder aussagen steht im Vordergrund – es geht darum, wer sie gepostet hat. Ein Großteil der Plattform dreht sich, nach meiner Erfahrung, um Reichweite und Follower, Werbekooperationen. Um möglichst „optimale“ Selbstdarstellung mit, dem Schönheitsideal entsprechenden, Filtern.

Bilder auf Instagram gehen nicht in die Tiefe, bilden aber auch keine Realität ab: Nicht ohne Grund boomen nicht etwa inspirierende Angebote im Analogen oder anderswo, sondern ein realitätsfernes Influencertum und der Verkauf von Likes, Klicks, Abos und mehr.

Und doch gibt es einige Plattformen und Angebote im Internet, die all das nicht sind. Die andere Ansätze verfolgen, manchmal in der Nische des Netzes feststecken. Eine Website, der – obwohl im englischsprachigen Raum sehr bekannt – hierzulande eher weniger Beachtung geschenkt wird, ist Reddit.

Reddit ist kein klassisches soziales Netzwerk nach der Facebook-Formel, sondern wird als Social-News-Aggregator charakterisiert. Eine Website, die Inhalte sammelt und sortiert – und genau das macht sie interessant. Auf Reddit geht es nicht um Follower (diese sind dort eine wirkliche Rarität) sondern um Inhalte, alle möglichen um nicht genau zu werden.

Denn genau und klar eingrenzbar, ist der Content auf Reddit nicht. In unzähligen Unterkategorien („Subreddits“) findet sich auf der Plattform alles mögliche und erdenkliche: Hilfestellungen für Alltag und Unalltag oder Internetinterviews mit Politiker*innen oder (nicht) Prominenten, geführt von der Community. Bis hin zu klassischen Katzenbildern (und einigem nicht jugendfreiem Zeug, was sich aber rausfiltern lässt) ist mehr oder weniger alles vertreten.

Ein Mechanismus, der dieses föderale System nicht besser Unterstreichen könnte, ist direkte Demokratie: Während auf Instagram, Facebook, Twitter geliked wird, werden Inhalte auf Reddit up- und downgevoted, d.h. unterstützt oder abgewählt. Von allen Nutzer*innen mit Account gleichberechtigt. Je nach dem, was gut ankommt, werden Inhalte höher oder tiefer auf der selbsternannten „Startseite des Internets“ und ihren Unterkategorien angezeigt.

Und nein, ich möchte hier keine Werbung für Reddit machen, auch wenn mir eine solche Plattform sehr viel lieber ist, als die anderen großen unsozialen Netzwerke. Auch Reddit hat Schattenseiten. Völlige Gleichheit besteht nicht ganz, gibt es doch Moderator*innen, die Inhalte einfach löschen können, gibt es doch Inhalte, die meiner persönlichen Meinung nach besser nicht hätten hochgeladen werden sollen. Und doch sehe ich eine wichtige, große Stärke:

Reddit ist nicht perfekt, nicht das totale Gegenteil zu dem was mich, und sicherlich noch einige andere an den unsozialen Netzwerken so nervt, aber mir gefallen die Struktur und die Aufmachung der Website. Vielleicht kann eine solche Plattform (basis)demokratisches Bewusstsein stärken und dazu beitragen, das Internet ein bisschen kultureller und sozialer zu gestalten, indem seine Teilnehmer eben nicht mehr entsprechend ihrer Reichweite, mehr oder weniger Gewicht haben.

Anstatt zu werben für Reddit möchte ich werben für ein freies Internet und eine freie, gleichberechtigte digitale Welt. Denn ich bin mir sicher: Monopolisten wie Google, Apple und Facebook (oder heißt es jetzt Meta???) machen das Netz sicher nicht zu einem besseren Ort – wie auch immer der aussehen mag.


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