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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.
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Montag, den 18. Juli 2011
Morgens auf unserem Philosophenweg im Schöneberger Volkspark
Wir arbeiteten an der Textabfolge für ›Kriemhilds Lache‹, genossen die Stille und dachten: Alle sind in Urlaub, deshalb ruft niemand an. Aber das war nicht der Grund, wegen einer Netzstörung waren wir und andere Telekom-Teilnehmer in der Gegend offline. Erst gegen Abend teilte uns die Telekom mit, dass sich am Dienstag ein Techniker um das Problem kümmern werde.
Dienstag, den 19. Juli 2011
Nebenan trugen Möbelpacker Kartons in die Nachbarwohnung, wir haben jetzt neue Nachbarn. Wir beschlossen – offline und mit Umzugsgepolter – an diesem schönen Tag (laut Wetterbericht, dem einzig schönen in der Woche) Baden zu gehen. Wir packten die Badesachen und die Zeitungen ein, die sich angesammelt hatten, und fuhren zum Müggelsee.
Während einer Recherche zur Geldtheorie stießen wir auch auf das ›Kursbuch 36‹ vom Juni 1974, nun lasen wir wieder den Text des Kommunistenrabbi Moses Hess. Ein Zitat daraus: »Was der Gott fürs theoretische Leben, das ist das Geld fürs praktische Leben der verkehrten Welt: das entäußerte Vermögen der Menschen, ihre verschacherte Lebensthätigkeit. Das Geld ist der in Zahlen ausgedrückte menschliche Werth – es ist der Stempel unserer Sklaverei, das unauslöschliche Brandmal unserer Knechtschaft – Menschen, die sich kaufen und verkaufen können, sind eben Sklaven.
Das Geld ist der geronnene Blutschweiß der Elenden, die ihr unveräußerliches Eigenthum, ihr eigenstes Vermögen, ihre Lebensthätigkeit selbst zu Markte tragen, um dafür das caput mortuum derselben, ein sogenanntes Capital einzutauschen und kannibalisch von ihrem eigenen Fette zu zehren. – Und diese Elenden sind wir Alle! Wir mögen uns theoretisch noch so sehr von dem verkehrten Weltbewußtsein emancipiren, so lange wir nicht auch praktisch aus der verkehrten Welt heraus sind, müssen wir, wie es im Sprichwort heißt, mit den Wölfen heulen.
Ja, wir müssen unser Wesen, unser Leben, unsere eigene, freie Lebensthätigkeit fortwährend veräußern, um unsere elende Existenz fristen zu können. Wir erkaufen uns fortwährend unsere individuelle Existenz mit dem Verluste unserer Freiheit. – und wohlverstanden, nicht etwa nur wir Proletarier, auch wir Capitalisten sind diese Elenden, die sich das Blut aussaugen, sich selber aufzehren. Wir Alle können unser Leben nicht frei bethätigen, können nicht schaffen oder für einander wirken – wir Alle können unser Leben nur verzehren, können uns nur gegenseitig auffressen, wenn wir anders nicht verhungern wollen. Denn das Geld, das wir verzehren und um dessen Erwerb wir arbeiten, ist unser eigenes Fleisch und Blut, welches in seiner Entäußerung von uns erworben, erbeutet und verzehrt sein muß. Wir Alle sind – das dürfen wir uns nicht verhehlen – Kannibalen, Raubthiere, Blutsauger. – Wir sind es so lange, als wir nicht Alle für einander thätig sind, sondern Jeder für sich erwerben muß.«
Mittwoch, den 20. Juli 2011
Den ganzen Tag über machten wir die Textabfolge für das ›Kriemhilds Lache‹-Manuskript fertig. Abends um acht brachten wir das Manuskript zu F.W. Bernstein. Fritz kam herunter und freute sich auf die Arbeit.
Als wir zurückkamen trafen wir unsere neuen Nachbarn im Hausflur, sie wunderten sich. Denn in unserem Haus ist es üblich, Dinge, die man nicht mehr braucht, die man aber nicht wegwerfen möchte, unter das schwarze Brett zu stellen und zu verschenken. Dort standen schon Stühle, Porzellan, Weihnachtsschmuck, Massagegürtel, Bücher … Heute Abend lagen viele Musik-CDs auf dem Tisch. Die neuen Nachbarn standen davor, und wir erklärten die schöne Sitte.
(BK / JS)