„Wenn ich nach der Lektüre des „Schubert“ höre, Härtling schreibt jetzt an einem Buch über Schumann, dann sage ich still in mich hinein: mir reicht es jetzt eigentlich, wer kommt als nächster? Und dann lese ich das Buch und finde es fantastisch.“ (Peter Bichsel)
Da saßen wir vor einiger Zeit (rauchend noch) bei einem Weißwein am Tisch einer Pizzeria in der Nähe vom Berliner Schlachtensee und Peter Bichsel erklärte mir seinen Freund Härtling. Daß der nur Figuren und Stoffe auswähle, die ihn berühren, bei ihm tiefe Empfindungen provozieren und genau jene Nähe, jenes Sich-Einfühlen zulassen, das den (gern auch heftig umstrittenen) „Hölderlin“ der 70er-Jahre erst möglich machte. Nach dem Roman über den schwäbischen Dichter, der so folgenreich „unter die Deutschen kam“, und für den junge „Brigitte“-Redakteurinnen ihren Peter Härtling noch heute „lieben“, folgen gemeinsame Wege mit Schubert, Schumann, E.T.A. Hoffmann, Mozart u.a., allesamt Suchende, die Härtling zu Gefährten werden, deren Leben und Musik ihm Atem und Worte geben:
„Es sind Grenzgänger! Wenn ich deren Leben verfolge, besteht es aus lauter Anfängen, lauter Versuchen, etwas durchzusetzen in der Kunst, in der eigenen Existenz: Ob nun Hölderlin das bessere Leben suchte, ob Schumann die neue Musik seiner Epoche sucht, ob Schubert, dieser ahnungslose Engel, mit den späten Werken eben diese neue Musik schafft – ich brauche ihre Suche, ihre Antworten, um einen Ton zu finden, der Menschen, die meine Bücher lesen, erregt, aufbringt oder sie traurig macht.“
Und nun Fanny Hensel (geb. Mendelssohn), die „Liebste Fenchel“ ihres jüngeren Bruders Felix, des bekannten Mendelssohn-Bartholdy. Beide musikalisch hochbegabt und in den zahllosen „moments musicaux“ ihres Lebens unterwegs. Härtling begleitet das jüdische Mädchen, die quicklebendige Frau in „Etüden und Intermezzi“, findet ihren Grund in Briefen und Dokumenten, erfindet, rekonstruiert voller Empathie ihr Leben, aber auch die Grenzen, die dem Wollen, dem Können der Fanny von einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung und damit auch von ihrem Vater Abraham gesetzt werden: „Du meine Fanny, gehörst nicht der Welt, du weiß es, du gehörst dem Haus, gehörst der Familie“. Noch eine Grenzgängerin. Eine, die widerspricht: „Nein, Papa!“ und komponieren will, wie der Bruder Felix: „Ihr denkt wahrscheinlich, Frauen können das nicht. Ich kann es!“
Und sie zeigt, daß sie es kann. In den „Sonntagsmusiken“ des Hauses Mendelssohn. Auch in Rom. Vor allen Dingen in Rom. Immer wieder und neu. Beginnt zu leuchten. Zu lieben. Zu reisen. Verzweifelt mitunter. Aber setzt sich durch. Findet Anerkennung. Bleibt nicht ungehört. Peter Härtling lauscht ihr nach. Nimmt sie bei der Hand. Erzählt ihre Zeit, ihr Leben, ihre Musik. Eben das tut er hístorisch genau und bringt gleichzeitig Fanny Hensels Biographie so zum Klingen, daß deren Lektüre zur musikalischen wird. So öffnet Härtling Erzählräume, in denen ihr Leben nachklingt – „Fenchels“ Leben, so der Spitzname, den ihr der Bruder Felix gab: „Liebste Fenchel!“
Härtling ist derzeit mit seiner Fanny unterwegs. Liest sie vor. Morgen zum Beispiel in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz. Ganz in der Nähe hat sie einst gelebt.