Als das Kind Kind war und noch kein Handke in Sicht, hat es im Herbst Kastanien gesammelt. Immer im Herbst. Braune glänzende Früchte. Sammelte auf dem Bürgersteig, auf der Straße, in den Vorgärten der Häuser, in denen die reichen Leute wohnten. Die schimpften „Rotzgören“ und drohten mächtig, wenn das Kind, gemeinsam mit anderen Kindern, ihren Garten stürmte und blitzschnell nach den herumliegenden Kastanien griff. Doch niemand erwischte sie. Und irgendwann war ein richtiger Sack voll.
Ein grober Sack aus Leinen. Da passte allerhand rein. Und schwer war der. Zu schwer. Also auf den Gepäckträger vom Fahrrad damit und gemeinsam schieben, die Straße zum Tierpark hinauf. Zu den Rehen, Hirschen und Wildschweinen, die genauso auf die Kastanien warteten, wie der Förster, der immer sang: Grün ist die Heide, die Heide ist grün und alle lachten, weil die Rosen rot sind, eh sie verblühn und jetzt war eh schon Herbst, gar keine Rosen mehr, auch kein Rosenstolz, aber die Kastanien. Die kaufte Herr Biermann, so hieß der Förster, den Kindern ab. Als Tierfutter. Den ganzen prallen Sack. Für eine ganze Mark. Das Geld teilten die Kinder unter sich auf, und das Kind bekam 20 Pfennig und war plötzlich so reich, daß es gleich die lange Strecke hinab zum Kaufmann lief, um sich Zitronenbonbons zu kaufen, die aus dem großen Glas – zehn dicke, fette, saure Zitronenbonbons.
Ging mit seinem Reichtum zum Trümmergrundstück, auf dem sie immer spielten, kroch in den Keller der Ruine, setzte sich auf einen alten Hocker, steckte zwei von den Sauren in den Mund und lutschte sich aus all dem Kaputten in verdammt süße Träume. So süß waren die, daß ich heute noch, wenn der Herbst leuchtet oder stürmt, ein paar Kastanien im Park sammele, um nur einmal noch den Geschmack der sauren Zitronenbonbons zu erinnern und dabei den Traum zu träumen, den das Kind träumte. Als es noch ein Kind war.