Wenn wir unser Selbstvertrauen wieder gewinnen, können wir eine ganze Menge tun. Wir müssen den Hörern vertrauen. (Marie Wennersten)
Radio ist mehr als eine Summe von podcasts, die irgendwo im Netz zwecks Download Schlange stehen, allzeit bereit für den nächsten Global Player als atomisierte Möglichkeiten für das Mittelohr all der Suchenden, die wie Wasser, von Klippe zu Klippe geworfen, sich blindlings von einer postmodernen Stunde zur anderen hören, womit wir schon bei Hölderlin wären, da lande ich immer, wenn mir all das Lobgehudel auf Webradio und Zukunft zu viel wird.
Radio will gemacht werden, geplant, entworfen, skizziert, phantasiert, inszeniert werden, es braucht die Sprache, den Klang, den Atem seiner MacherInnen, der es immer wieder neu belebt, in leuchtende Zusammenhänge setzt und vor dem schlimmsten Zeitgeist bewahrt. All die Debatten um derlei Belebungen geschehen viel zu oft Backstage und da ist es gut, daß es hie und da noch Sendungen gibt, die das Radio an und für sich reflektieren, nachfragen, was Radio einmal war, was aus ihm wird, was werden könnte und ob es nicht ein wenig zu schnell gedacht ist, wenn all die irrlichternden Beschleunigungen nun auch noch festgefügtes Programm und eherne Struktur werden sollen. Prima also, daß es so mutige kleine Lowest-Budget-Magazine wie „Mehrspur“ (SWR2) gibt, die dem Kulturradio heimleuchten. Zumindest versuchen das Redakteur Wolfram Wessels und sein Team (s. Foto) Monat für Monat, satte (!) 30 Minuten lang – mehr gibt’s nicht, das muß reichen.
Die aktuelle Ausgabe von „Mehrspur“ orientiert sich im Euopäischen Ausland der Radiokultur, will wissen, wo das alles enden soll, mit dem Hörspiel zum Beispiel, und bekommt recht kompetente Auskunft bei der Schwedin Marie Wennersten, der Leiterin der EBU Drama Group: „Wenn Sie sich in Europa umhören, werden überall die Etats gekürzt, manchmal bis um die Hälfte. Auf der anderen Seite gibt es eine große Tradition: in Deutschland, Österreich, Großbritannien und Schweden. Es gibt seit bald 90 Jahren Hörspiele und ich glaube das Hörspiel hat eine Zukunft, selbst das traditionelle. Man muß etwas ändern, aber nur wenig. Die Gefahr besteht eher darin, daß, viele Sender nur noch Serien produzieren, z.B., Krimis oder tagesaktuelle Stücke. Das ist in Ordnung, aber es scheint, als würden die längeren Sendeplätze für eher literarische oder psychologische Stoffe mehr und mehr gestrichen. „
Wir müssen den HörerInnen vertrauen, sagt sie noch und daß die Hörstücke (zum Beispiel in Dänemark) einen klaren Trend Richtung Verkürzung zeigen. Was mich an jene Redakteurin, mehr noch, es war eine Wellenchefin, erinnert, die eines Tages in der Redaktion stand und uns klar machen wollte, daß sich alle Ärzte, Apotheker und sonstigen Forscher darüber einig sind, daß der gemeine Hörer nicht länger als 2’30 min. zuhören kann, dann reicht’s mit der Konzentration, Schnitt, Blende und überhaupt. Zwanzig Jahre ist das her und immer noch laufen die Hörfunkprogramme der BBC und der britische Medienwissenschaftler Peter Lewis ist immer noch voll des Lobes für die angebliche „alte Tante“ – geradeauch für ihr drittes und viertes Programm:
„Beide Sender beauftragen sowohl eine Vielzahl von freien Mitarbeitern, als auch ihre hauseigenen Produktionsteams. Hören Sie die Arbeiten von Simon Elmes, Mark Burman, Laurence Griselle und Sara Jane Hall. Entdecken Sie Between The Ears auf Radio 3, das selbst ernannte Zuhause innovativen Feature-Schaffens. Hören Sie diese Woche Open Air auf Radio 4, wo fünf Künstler neu interpretieren, wie über Rundfunk gedacht und wie er gehört werden könnte. In der BBC findet man Plätze für Experimente, und vielleicht auch für eine wohlbegründete Alltäglichkeit; auch Feature-Produzenten, die weniger affektiert sind und mehr unter Dampf stehen.“
Also bloß nicht heulen! Hinhören! Den interessierten Hörer geben, auch wenn die Tagespresse das Radio für ihre LeserInnen kaum reflektiert – „Mehrspur“ tut es und lädt in dieser Ausgabe auch mal wieder den alten Tom Schimmeck ein und läßt ihn die thematische „Sau des Monats“ durch’s mediale Dorf jagen: Die „Agenda 2010“ nämlich, das Konzept der asozialen Weltenretter, über das sich heute alle einig sind, so scheint es jedenfalls, nur Tom nicht, der läßt die Sau tröten und grunzen, daß es eine Freude ist: „…So bleibt uns nur, in einen Schlachtruf einzustimmen, den der Herr Brüderle ganz gewiss nicht so gemeint hat. Der aber, auf den herrschenden Blödsinn angewendet, geradezu herzerwärmend wirkt: ‚Wir müssen uns dem Unsinn entgegenstellen. Was dort an scheinbarem Zeitgeist zelebriert wird, ist letztlich der falsche Weg. Damit fahren wir an die Wand und nicht in die Zukunft!“
Jede Menge Hörstoff also, reflektierter allzumal. Garniert mit flotten Intermezzi, präsentiert u.a. von einem ziemlich jungen „Frollein Europa“. Das Ganze (wie immer) auf mehreren Spuren fesch montiert und mit der Aussicht auf die nächste Folge. Just listen!