vonDetlef Berentzen 01.10.2013

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Ich kenne die Villa Metzler in Frankfurt nicht. Doch den, der da heute abend liest, den kenne ich gut, bin ihm biografisch nachgelaufen, mit ihm älter geworden, bald wird er achtzig (im November), gibt immer noch einer Menge Geschichten seinen Atem und bringt folgerichtig auch in diesem Herbst Neues auf die Welt: Gedichtbände (u.a. Radius), ein neues Jugendbuch bei Beltz und Gelberg („Hallo Opa! Liebe Mirjam!“) und eben auch „Tage mit Echo“ (KiWi), die Peter Härtling heute abend am Mainufer erstmals vorstellt. Eine Premiere also von jenem Autor, der uns oft genug seine Weggefährten präsentierte, nah brachte, so nah, daß man sie nicht wieder los wurde – Hölderlin zum Beispiel, auch Schubert, Schumann und zuletzt auch Fanny Hensel. Keines von all diesen Büchern, aus denen er nicht heute noch öffentlich liest, junge Musiker zur Seite, die dem Klang seiner Kompositionen folgen, weil auch Worte Noten sind und Sätze eine Melodie haben, die berühren kann.

In den  „Tagen mit Echo“ ist Härtling zunächst mit Uwe Johnson unterwegs. Hat sich zuvor im Mantel seiner Hauptfigur, dem alternden Schauspieler Robbie Brodbeck, auf die Spur von „Letzten Büchern“ gesetzt: „Döblins ‚Hamlet‘, Faulkners ‚Spitzbuben‘, Joseph Roths ‚Legende vom heiligen Trinker‘  und ein paar mehr. Alles Werke, die ein Ende markieren. Und doch nicht.  Schließlich geht er mit Roth ins Studio, zieht dann aber mit Uwe Johnsons „Jahrestagen“ los ins Offene, Richtung Ostsee, Klütz, ihn wird er vortragen, ins Leben bringen. Abend für Abend. Härtling selbst würde nichts anderes tun. Und ist jetzt noch begeistert. Sitzt da in Walldorf und reibt sich die Hände.

„Das ist für mich eine Art Sommernachtstraum mit Johnson. Brodbeck liest dann einen Sommer lang im Museum von Klütz, das regiert wird von zwei Damen, die erfunden sind. Das hat mich richtig umgewälzt, dieser Umgang mit Literatur, die man kennt, deren Verfasser man noch begegnet ist, auch den Ort zu erfinden, den Johnson fand – Jerichow und Klütz sind eines. All das hat mich so angerührt, daß daraus eine Geschichte entstand, ein wahrhaft letztes Buch. Und da ich nicht anhalten wollte, lasse ich meinen Rezitator noch nach Potsdam reisen, wo er anfängt den ‚Stechlin‘ zu lesen“.

Und hört danach immer noch nicht auf. Härtling bleibt bei den letzten Büchern (sitzt aber derzeit selbst schon wieder an einem neuen) und zeichnet in einer zweiten Erzählung mit dem Titel „Fohr“ die Geschichte des großen klassizistischen Malers Karl Fohr nach, der viel zu früh seine letzten Werke abliefern mußte. Härtling begleitet den jungen Heidelberger nach Rom.

„Nach einer langen Wanderung mit seinem Hund Grimsel kam Fohr 19jährig in Rom an, ging gleich ins Caffè Greco, dem Treffpunkt in- und ausländischer Maler. Sie  portätierte er auf einem Bild, jede Figur einzeln. Und diese Porträts sind atemberaubend schön. Jahre später, inzwischen 22jährig,  ging er mit Freunden im Tiber baden, wurde mitgerisssen von der Strömung des Flusses und ertrank.  Fohr hinterließ letzte Bilder für ein letztes Buch, das es inzwischen auch gibt und all diese Bilder sammelt. Für mich ist das sozusagen die Apotheose dieser Idee des letzten Buchs. Auf diese Weise endet der Ausflug nach Klütz im Tiber.“

Endet in der Romantik. Von der Ostsee kommend. Die „Jahrestage“ im Gepäck. Das Ganze in der Jetztzeit erzählt, mit Heiterkeit und Ironie. Auch mit der nötigen Melancholie. Und immer wieder ist da ein suchender Ton, der alles in der Schwebe hält. Nichts ist zu Ende. Diese Tage werden ein Echo haben.

Lesung

Buch

 

 

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