vonDetlef Berentzen 17.02.2014

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Peter Härtling (80) liest heute (17. Februar) in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz aus seinem Buch „Tage mit Echo“. Beginn 20.00 Uhr.

Berentzen: „Jahrestage“ – vier Bände Uwe Johnson, ein ganz besonderer Lesestoff, dem man in Ihrem neuen Buch „Tage mit Echo“ begegnet !! Warum kommen  Sie erst jetzt dem Johnson so nahe und dabei auf die verrückte Idee,  ihren Protagonisten, den alten Brodbeck, einen Sommer lang Johnson rezitieren zu lassen,… solange bis ihm der Vorhof flimmert?

Härtling: Ich habe mir schon lange Gedanken darüber gemacht: was sind letzte Bücher? Und ich fing sogar an, letzte Bücher zu sammeln: Joseph Roth, Faulkner, die „Spitzbuben“….. Und kam dann, letzte Bücher bedenkend, auf den Menschen, der im Holozän erscheint… ein ganz großes Buch von Max Frisch. Und schließlich auf ein Schlüsselwerk der zeitgenössischen Literatur, das sind eben die „Jahrestage“ von Uwe Johnson. Nun hat Johnson mich ein halbes Leben lang in reeller Schrulligkeit als Figur begleitet. Den  Vortrag seiner „Jahrestage“ habe ich konkret erlebt, als er in Kiel aus Band 4 las.

Bei Cordes?

Bei Cordes, ja. Und diese Lesung war ein wichtiger Anlaß für diese Erzählung. Hinzu kommt noch, daß ich durch Zufall im Mecklenburgischen Klütz das Literaturhaus„Uwe Johnson“ entdeckt habe – wir waren an der Ostsee, hörten, dass in Klütz das Johnson-Haus ist und ich habe mir das angeschaut: ein beeindruckendes Museum. Später fand ich für die Erzählung eine Figur, die, aus dem Schwäbischen kommend, rezitierend durch die Welt zieht. Ein Schauspieler, ein Rezitator, der nicht mehr weiß, was er rezitieren soll. Und der kommt auf die Idee,  seine Agentin könnte den Lesebühnen des Landes doch ein Programm mit dem Titel „Letzte Bücher“ anbieten.

 Im Buch kommt die Idee von Brodbecks Sohn, seinem Ältesten.

Genau. Und die Agentin bietet also ihn und die „Letzten Bücher“ an, nicht mit allergrößtem Erfolg, aber immerhin kann er erst mal den Joseph Roth, dessen „Legende vom heiligen Trinker“, für eine CD-Produktion lesen, dann aber wird er nach Klütz gerufen. Und da beginnt für mich eine Art „Sommernachtstraum“ mit Johnson. Brodbeck liest einen Sommer lang die „Jahrestage“ im Museum von Klütz,  das im Übrigen von zwei Damen regiert wird, die ich erfunden habe.

Wunderbar schrullig die alten Damen und sehr eigensinnig!

Das kann man wohl sagen. Gleichzeitig wird Brodbeck begleitet von dem Mädchen Sabrina, das an die Marie aus den „Jahrestagen“erinnert. Da gibt es eine richtige Verdoppelung. Dieser Umgang mit Literatur hat mich richtig umgewälzt, auch den Ort zu erfinden, den Johnson einst fand – Jerichow und Klütz sind eines. Die Bahngleise, über die sein Jakob seinerzeit ging, die gibt es nicht mehr, weil es die Bahn nicht mehr gibt, das ist alles völlig meschugge und hat mich so angerührt, dass daraus eine Geschichte entstand, ein wahrhaft letztes Buch. Und da ich bei Johnson nicht anhalten wollte, habe ich Brodbeck noch nach Potsdam reisen lassen,  wo er zwar anfängt, aus  dem „Stechlin“ zu lesen, das Projekt dann aber abbricht

Brodbecks Vorleseliste der letzten Bücher ist noch lang. Doch seine Lesereise endet in Potsdam und damit auch die erste Erzählung Ihres Buches, samt der Konklusion: „Letzte Bücher sind Mitteilungen von letzten Lebensstrecken. Erschöpft, aufbegehrend, müde, schlaftrunken und todessüchtig!“  Sie refektieren dann noch ein wenig über die „Eiertänze ums Letzte und Allerletzte“,  werden dann aber entschlossen für Ihre zweite Erzählung zum Kopfwanderer und landen dabei zunächst in Heidelberg, dann in Rom, immer auf den Spuren von Carl Philipp Fohr, dem Maler.

Dieser große klassizistische Maler Fohr ist einer, der auf unvergleichliche Weise letzte Bilder für ein letztes Buch herstellte. Neuerdings taucht er immer wieder mal auf, in Paris sind Bilder von ihm ausgestellt, er war einer der ganz großen Portraitisten seiner Epoche. Als junger Mann kam er, neunzehn Jahre alt, in Rom an und ging gleich ins Café Greco, denn da musste man hingehen, dort trafen sich alle Maler. Das Café Greco beherbergte seinerzeit zwei Parteien, zum einen die Nazarener zum anderen die Landschafter. Und da stand er erstmal mit seinem Hund Grimsel, der ihn auf dieser langen Wanderung von Heidelberg nach Rom begleitet hatte, stand zwischen diesen Parteien und schaffte es doch, beide am Ende in dem großen Greco-Bild zu vereinen, dessen Tableau heute im Städl liegt – jede Figur ein Portrait. Und atemberaubend schön. Im Alter von 22 Jahren ging Fohr mit zwei Freunden im Tiber baden und wurde von der Strömung mitgerissen. Der eine Freund, der schwimmen konnte, versuchte ihn noch zu retten. Carl Philipp Fohr  ertrank und hinterließ letzte Bilder für ein letztes Buch, das es inzwischen gibt und das all diese Bilder versammelt. Das ist für mich die Apotheose der Idee vom letzten Buch. Auf diese Weise endet der Ausflug nach Klütz im Tiber.

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