Märchen erzählen. Von dem Kind, dem sie die Welt in Trümmer geschossen haben. Ihm gelingt die Flucht von Irgendwo und so kommt das Kind eines Tages nach Wilmersdorf, steht dort nachts allein mitten auf der Jenaer Straße, kein Sterntaler in Sicht, da nimmt meine Großmutter den kleinen Rafik bei der Hand und sagt: „Du brauchst jetzt erstmal ein Brot mit Senf!“ In der Küche nimmt sie dem Kleinen den Rucksack ab und streichelt seinen Kopf. Da weint der Rafik, zittert ein wenig, mampft seine Stulle und flüstert zwischendurch etwas, was meine Großmutter nicht versteht. Sie nickt, kocht einen Kräutertee, summt ein Lied und schmiert ihm noch ein Brot. Dann holt sie ein frisches Handtuch und macht ihm ein heißes Bad. Später hängt sie ein Schild mit „Nazis raus“ an die Haustür: „Nur damit das klar ist!“ Meine Großmutter war so – selber Flüchtling. Und weil dies ein Märchen ist, gibt es sie immer noch und keiner wagt es, dem Rafik auch nur ein Haar zu krümmen.
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