vonDetlef Berentzen 30.10.2014

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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„Vorsichtig tasteten seine Lippen nach ihren, suchten und fanden ihren Mund, kleine zärtliche Berührungen wuchsen zu einer ungekannten Leidenschaft heran. Als Ignaz ihre Zungenspitze spürte, glaubte er, etwas in ihm würde explodieren…“(Anna Basener)

….Lang ist’s her, mit mir und den Heftromanen, mit Jerry Cotton, Perry Rhodan und den anderen Ikonen. Nie wieder habe ich seitdem ein Heft gelesen. Doch nun diese Begegnung mit Anna Basener (s. Foto), Mitte dreißig, eloquente Kulturwissenschaftlerin und unter dem Pseudonym „Catharina Chrysander“ Verfasserin von aus rosa Kitsch geborenen Groschenromanen. Sie lässt auf diesen Job nichts kommen. Anna Basener schwärmt ausführlich von den nicht näher bezifferten Auflagenhöhen ihrer Heftromane, von Verkaufszahlen, die sie als Debütantin in der Abteilung „Neue Deutsche Literatur“, da ist sie sich sicher, nie erreicht hätte. Nun tritt sie zu einer veritablen Lesung aus ihren Groschenheften an. In einer Kreuzberger Szene-Kneipe, geführt vom Tante Horst-Kollektiv, begleitet von viel Applaus. Jede Menge bunte Hefte liegen auf ihrem irgendwie intim beleuchteten Lesepult. Keines hat mehr als 64 Seiten. Inzwischen kosten die Dinger zwar mehr als nur ein paar Groschen, aber zumindest weit unter zwei Euro das Stück. Eine ungeheure (!) Vielfalt, die sie da präsentiert:

„Prinzessin Simonas schwere Entscheidung“, das ist die Geschichte einer sehr jungen Prinzessin, die schwanger ist und sich in einen Priesteranwärter verliebt… „Wildererblut und Mädchenträume“, die Geschichte einer reichen Bauerstochter, die sich in einen armen Burschen verliebt, der wildern muss, um zu überleben, … „Der Ruf der Berge“, die Geschichte einer Landärztin und eines Dorfpolizisten, die im Kleinkrieg um ein Haus ihre Herzen verlieren…“

Es war verdammt spannend und auch  erhellend, sich für den Funk (SWR2) auf die Spuren der Trivialliteratur zu setzen, dabei, ja doch, auch die eigenen Spuren zu entdecken und meinem alten Jerry Cotton aus den 1950ern zu begegnen, der inzwischen (Time goes by) fast schon dabei ist, vor jedem Einsatz sein tägliches Müsli zu essen (Florian Marzin vom Bastei-Verlag meint allerdings, ein Körnerfrühstück würde im Falle Jerry Cotton vielleicht doch zu weit gehen!) und längst keine Schüsse aus dem Geigenkasten mehr abliefert:

„Dann ging auf einmal die Tür auf, und ein Kollege aus der Telefon- und Fernschreibzentrale kam hastig hereingestürzt. Er legte dem Chef einen Zettel hin. Mr. High warf nur einen kurzen Blick darauf: ‚Der Mörder des Howard-Kindes ist in der Wall Street gesehen worden. Jerry und Phil! Beeilt euch!‘ Wir erhoben uns. Im Saal hatte sich eine tiefe Stille ausgebreitet, als wir durch den Mittelgang zur Tür stürmten. Mit einer unwillkürlichen Bewegung klatschte meine rechte Hand gegen die linke Achselhöhle, um festzustellen, ob die Dienstpistole in dem Schulterhalfter saß …

Good ol‘ Jerry! Allerdings fing es mit dem gedruckten Trivialen wesentlich früher an. Reden wir nicht nur von Rinaldo Rinaldini (Florian Marzin: „Autor Vulpius war der Schwager von Goethe und Goethe hat sich zu Lebzeiten entsetzlich darüber beklagt, dass sein Schwager mit so einer Abenteuergeschichte Unmengen von Büchern verkauft und er nur ganz wenige!“), nehmen wir stattdessen eine sehr frühe Version von Anna Baseners Heftroman über die dramatische Liebe zwischen Prinzessin und Priester. Original-Titel im Jahre 1776: „Siegwart. Eine Klostergeschichte“. Ein triviales Gegenstück zu Goethes verzweifeltem „Werther“, verfasst von Johann Martin Miller, verlegt in der „Weygandschen Buchhandlung“ zu Leipzig. Plot: Siegwart liebt Mariane, doch die Liebenden dürfen sich nicht verbinden. Mariane flüchtet in ein Kloster, um sich dem Einfluss der Eltern zu entziehen. Siegwart erhält einen Brief von ihr.

„Mein Geliebtester! Ich warf mich Gott in die Arme, um der Grausamkeit der Menschen zu entgehen; aber auch im Kloster sind Menschen, und es geht mir hart. Retten Sie mich, wenn Sie können! Ich weiß, Gott will nicht, dass der Mensch sich quäle, und hier halt’ ich‘s nicht lang aus. Ich bin sehr schwach und entkräftet. Man verspottet mich, und hält mich hart, weil ich geliebt habe; weil ich dich geliebt habe, du Vollkommener! Gott kann nicht so grausam sein, wie Menschen sind; darum darfst du mich aus ihrer Hand erretten!“

Später wird von „Schundromanen“ die Rede sein, selbsternannte Retter aus der kulturbeflissenen ersten Reihe treten auf und machen angewidert all den „Schmutz“ und dessen Autoren nieder. Doch Pilcher lebt. Und die Groschenromane sind Heftromane geraten zu Ebooks und machen zur Zeit vor allen Dingen in China Furore. Kleine Fluchten vor all den kalten Wahrheiten des Alltags sind nach wie vor gefragt. Und doch gilt das Zitat von Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar!“ Alles eine Frage der Dialektik. Wie auch immer, es gibt zum Thema eine Menge zu erzählen. Und das habe ich getan. Und daraus ein Stück gemacht. Just listen!

 

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