vonDetlef Berentzen 09.01.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

Mehr über diesen Blog

Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenn’s ihm gut geht, und eine wenn’s ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion. (KT)

Schon vor Monaten habe ich mir den 125. Geburtstag von Kurt Tucholsky, Ignaz Wrobel, Theobald Tiger und all den anderen im Kalender notiert. Oft genug war ich mit ihm unterwegs, habe aus seinen Gedichten und seiner Prosa gelesen, konnte auch das Kind Kurt mit den „totentraurigen Augen“ nie verlassen, es blieb mir nah und ich war deshalb gespannt, ob sich die aktuellen Schreiber und Funker und Fernseher zum  9. Jänner an ihn erinnern würden, weil sie doch so verdammt jung sind und die Alten längst auf ihrem Teil. Daß die Postmodernen es jetzt tatsächlich tun, tun müssen, allesamt fragen „Was darf Satire?“ und Tucholsky antworten lassen: „Alles“!, das hat mitunter Gestanztes, Genormtes, Immergleiches und muß doch sein, denn Tuchos Credo gilt nach wie vor – erst recht für Charlie: „Echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint!“

Satire ist mir mehr denn je bitter notwendige Psychohygiene, ich brauche sie, um zu Atem zu kommen, wenn mir all das Dreiste, Dumme, Gewalttätige, Blutrünstige in die alten Glieder und hinter die Stirn fährt – da will etwas losrennen, sich wehren, Borcherts NEIN in das actualiter Blau des stürmischen Himmels schreien, doch da ist kein Himmel, nur noch rettende Satire, die endlich beißt und alles darf, so sehr, so wahrhaftig, daß der religöse Wahnsinn das Schnellfeuer auf sie eröffnet. Faschisten vertreiben, verjagen, bedrohen, vernichten die Satire, wie schon zu Tucholskys Zeiten, der lange genug widerstand und uns die nötigen Sätze für die Zeiten der „Dämmerung“ aufschrieb: „Manche verkriechen sich. Nicht nur die Feigen – auch die Feinen und die Stillen. Sie wollen nicht mehr mittun. Aber es wird ihnen etwas getan; es reißt sie immer wieder hinein; es hilft gar nichts, Scheuklappen anzutun.“

Gegen all den Terror, gegen die eigene Angst, gegen den Hass werden wir Kritik und Satire, Sätze und Haltungen brauchen, wie sie Tucho, der Tiger und die anderen damals schon aufgeschrieben und gelebt haben.  Auch wenn am Ende all unserer Versuche das „Hat nicht verstanden“ von Tucholsky stehen mag, der sich im Jahre 1935 verzweifelt und voller Verachtung per Brief von der Welt verabschiedet  – Jeder Tag ist den Versuch wert, es mit dem aufrechten Gang zu versuchen und dabei zu ahnen: „Das Leben ist gar nicht so. Es ist ganz anders.“

 

Tucholsky Museum

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/spurensuche/2015/01/09/gebrauchte-dichter-7/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert