vonDetlef Berentzen 12.01.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Schon als Kind des Afterwar mochte ich keine nationale Hymnen, schwenkte auch keine Fahnen, war voller Widerwillen gegen das Aufstellen in Reih und Glied und hatte auch etwas gegen das Strammstehen in alten Schulbänken. Vielleicht deshalb, weil mein Vater seit dem Krieg keine Lieder mehr hatte und keine Fahne schwenkte, sondern nur seinen Weinbrand im Glas: Der uralte Asbach sollte all die Erinnerungen wegbrennen, die ihn seit Leningrad nicht schlafen, ihm das Herz rasen ließen. Sanitäter war er damals gewesen, 18 Jahre alt, mit der Knochensäge an der Front und nun saß er den ganzen Tag frierend in der Frikadellen-Kneipe, gröhlte verzweifelt: Einer geht noch rein!, und versuchte durch Überschreitung sämtlicher Promillegrenzen das implantierte Nazideutschland zu vergessen.

Nie wieder Krieg!, flüsterte er manchmal, zeigte mir uniformierte Knipserfotos, lachte und schwitzte Blut dabei. Ich wollte ihm verdammt gerne helfen, ihn in meine Kinderarme nehmen, doch er lehnte ab. Stellte sich stattdessen in der Nacht ans Fenster vom Schlafzimmer, rang schwer nach Luft, bekam Todesangst, wenn er das Stöhnen, die Schreie all der Sterbenden in seinem Kopf hörte, die ich kurz darauf auch bei Wolfgang Borchert fand: „Sie rotten sich zusammen die Verrotteten und bilden Sprechchöre, Beckmann brüllen sie, Unteroffizier Beckmann, immerzu: Unteroffzier Beckmann und das Brüllen wächst, und das Brüllen rollt heran, so würgend groß, daß ich keine Luft mehr kriege und dann schreie ich, dann schreie ich los in der Nacht und davon werde ich dann immer wach!“

Deutschland nahm meinem Vater den Atem, noch jahrelang. Er erzählte mir erst viel später seine Geschichte – kurz vor seinem Tod. Nun bin ich mit seinen Schatten schon lange im Licht meiner Tage unterwegs und „Rheinmetall Defence setzt mit den Divisions Combat Systems, Electronic Solutions und Wheeled Vehicles neue technische Standards“ (Originalzitat). Sie servieren weltweit die schwarze Milch der Frühe. Und beschäftigen dafür hochqualifizierte Meister aus Deutschland. Ich habe meinen Vater geliebt.

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kommentare

  • Bei mir war es der Opa, der alkoholisiert, da WK I-traumatisiert, nachts schrie. Wir Enkel kannten die Ursache nicht und fanden das lustig. Seit ich alt genug war, die Gründe zu verstehen, habe ich mich für unser Gelächter geschämt. Meine Mutter hat mir spät mal erzählt, dass Opa ihr verboten hatte, zu den BDM-Mädels zu gehen. Das finde ich gut. Mein Vater war in keinem Krieg. Ich bin dankbar, dass wir einen Deutschlehrer hatten, der uns in den 1960er Jahren den Unteroffizier Beckmann nahe gebracht hat.

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