„Kommet her! Blodzed eich na! Vrgessed des ganz Bubabberlesglombb!“
„Spätzle mit Soß!“ Es war eine Frau, die mir sehr nahe steht, von der hörte ich, die schwäbische Pasta sei ein Grundnahrungsmittel gewesen, mehr habe ein schwäbisches Kind zu Mittag nicht gebraucht, damals in den 1950ern, und als Nachtisch vielleicht noch einen Hula-Hoop-Reifen, am Abend dann aber wieder „Spätzle mit Soß“. Mehr noch!, behaupten aktuell Berthold Biesinger und Bernhard Hurm in der gleichnamigen „heiteren Schwabenkunde“ des Melchinger Theaters Lindenhof, alle brauchen diese Grundnahrung, heute noch, alle, auch die Erwachsenen, auch die Verhockten in Berlin: „Machet euch locker, lachet ond lassets eich schmegga. A digger Bauch kommd ao ed vo gloine Spätzle!“
Leider sind die Lindenhöfler mit ihrem Theater viel zu wenig in Berlin. Mir fehlen sie hier. Selten genug tauchen sie im grauen Kubus der Baden-Württembergischen Landesvertretung auf und die Prenzlberger Schwaben haben offensichtlich eher ihre Latte Macchiato als die Bühnen der Alb im Sinn. Schade drum. Also fahre ich, so oft ich kann, von Tübingen rauf auf die Alb, über den Rand und immer geradeaus. Gleich hinter der Aral-Tankstelle geht’s schon los.
Eben kommt der Hölderlin als Bernie Hurm verkleidet aus der Melchinger Sparkasse, steckt seine lederne Geldbörse ein, rückt die Brille zurecht, schreitet munter voran, die Mütze mit dem Pudel auf dem Poetenkopf und kein Turm, kein Neckar in der Nähe – nur diese Einkehr unter den Linden, mit der Scheune als Lindenhof-Theater, auf dessen Stufen setzt er sich und denkt den Linien des Lebens nach, die ihm so verschieden sind. Und muss doch lachen.
Denn von links tritt ein anderer auf, einer, den Uwe Zellmer, der schreibende Trollingerpapst, inszeniert hat: Nikodemus Frischlin, ein echter Feuerkopf. Gelockt das Haar, die tiefen Wunden von Urach längst verheilt und ein Glas roten Wein in der Hand: Komm, Fritz!, raunt der Niki und zieht die nächste Bouteille aus dem Sack. Nie wieder Bordeaux!, greint laut der Hurm’sche Hölderlin und die Kinder des Dorfes folgen seinem Ruf und baden (noch vor der nächsten Spätzles-Mahlzeit) brav in einem großen Zuber, gefüllt mit frischem Trollinger, wie jeden Abend kurz vor Fünfe – eine alte Sitte, die all die Mädchen und Buben des Dorfes zu wahren Kennern Württembergs und zu trinkfesten Schwaben macht.
Derweil wehen vom nahen Kornbühl zarte Flocken durch das kleine Dorf am Rande der Alb. Vom Turm tönt die Glocke: Zeit für’s Open-Air-Theater, hinauf auf den Berg, himmelwärts, dorthin, wo sich die Windmühlen drehen. Ich erinnere mich: Ein Klavier wartete vor Jahren dort oben im Schnee, Susanne Hinkelbein spielte darauf Schubert-Variationen. Irgendwer schleppte derweil einen Koffer über das kalte Weiß, fremd eingezogen und immer auf der Flucht: Keine „Winterreise“ hat mich mehr bewegt, als die Melchinger Variante von Peter Härtling, die so manchen Engel ins Offene trieb und seine Mutter sagen lässt: „Lern frieren. Hier gibt es keine Wärme.“ So war’s. Und ist es noch.
Auf der Flucht sein, frieren lernen. Und sollten doch uns und all die anderen wärmen. Spätzle mit Soß! könnten da in mancherlei Hinsicht (auch als Metapher) durchaus hilfreich sein. Also nix wie rauf unter die Linden, dann über den Hof in das quicklebendige Theater, dem Walter Jens einst attestierte, es sei „heiter, unfanatisch und vor allem schwäbisch, mit vielen Aufbrüchen – immer wieder!“