….und doch fehlt mir im deutschen Radio oft das Erzählerische. Oder erst mal noch banaler: Das Mündliche. Denn nach meinem Empfinden wird im deutschen Radio – jedenfalls da, wo es ernsthaft um anspruchsvolle Inhalte geht – wenig geredet, sondern oft vorgetragen, vorgelesen. (Sandra Müller)
Das stimmt, Frau Müller, die mündliche Prüfung bestehen das Öffentliche, auch das Rechtliche weitgehend nicht. Das anregende Erzählen, die spontane Reaktion, der atemlose Moment, der hörbar wird, Worte, die uns beatmen und ohne Schulfunk auskommen, das wär’s doch! Immerhin sind ein paar gute Leute unterwegs, die uns wach halten. Und den Glauben an das Gute im Radio zurückgeben. Signori, belebt endlich all die wunderbaren Möglichkeiten und steift nicht länger digital resigniert vor Euch hin! Ich erinnere mich sogar noch an dreistündige Live-Features (!), mit denen wir einst die HörerInnen beglückten, leider nur für kurze Zeit, dann setzte der Wellenchef (oder war es eine Chefin?) wieder auf luftdicht produzierte Konserven.
Kurzum, der Kommentar von Sandra M. zum großen (US-)Thema „Storytelling“ war in der letzten Ausgabe jenes „reflektierten Radios“ zu hören, das sich „Mehrspur“ nennt, als Medienmagazin daher kommt und (warum eigentlich?) nach wie vor nur einmal im Monat auf SWR2 gesendet wird. Dieses klitzekleine Hörwerk stößt immer wieder Debatten an, schafft sogar neue Formate und versendet sie auch gleich – Wolfram Wessels, der allzeit verwegen behütete Redakteur und Moderator des Projekts, ist da ziemlich hemmungslos – selbst „Nachrichten aus dem Off“ präsentiert er diesmal, inszeniert von Christiane Renye:
Montgomery: Schüler einer Schule im US-Bundesstaat Alabama kommen seit Neuestem mit Konservendosen voller Mais, Erbsen oder Bohnen zum Unterricht. Die Schule hat sie dazu angewiesen. Im Fall eines möglichen Amoklaufs sollen die Schüler den Amokläufer mit den Dosen bewerfen und ihn so außer Gefecht setzen, bis die Polizei eintrifft. Das steht laut dpa in einem Schreiben der Schulleitung an die Eltern.
London: Der fünfjährige Alex aus Cornwall in England hat eine Rechnung bekommen, weil er bei einem Kindergeburtstag unentschuldigt gefehlt hat. Die Rechnung beläuft sich auf umgerechnet 20 Euro. Die Mutter des Geburtstagskindes macht damit Kosten für einen Ausflug geltend. Angeblich droht sie mit rechtlichen Schritten. Alex sagt, seit dem Streit wollten seine Klassenkameraden nicht mehr mit ihm spielen.
Wo solche Newz „aus dem Off“ zu hören sind, gibt’s noch mehr davon. Auch Blogs, Radioblogs und die dazugehörigen Radioblogger. Wessels kriegt sie alle. Auch Christian Grasse vom Berliner „Radiobüro“, ein Surfer auf selbstgewavten Audiospuren, der längst gemerkt hat, daß da noch mehr drin ist, in Sachen Radio. Seine wirkmächtigen Stichworte: „Dekonstruktion“. Und Transparenz.
Wie wäre es mit einem Talk im Anschluss eines Radiofeatures oder einer Reportage, in der die Entstehung eines Stückes erläutert wird? Zeit, um auf eventuell vorhandene Probleme und Herausforderungen in der Recherche einzugehen, die Auswahl der Experten und Protagonisten zu begründen, die eigene Arbeitsweise offenzulegen, Hörerfragen zu beantworten, die Geschichten zu erzählen, die im Stück nicht erzählt wurden. Kurz: Glaubwürdigkeit erhöhen und Transparenz schaffen.
Und wie wäre es mit einer kommunizierenden Public-Radio-Welle, auf der wir (jeden Tag, 24 Stunden lang) experimentieren, provozieren, inspirieren, Situationen schaffen? Ein ganztägiger Rave der Audiophilen, Nachrichten nicht nur aus dem Off, sondern aus dem Wohnzimmer von Frau Bernstein, Geschichten ohne Schlips und Kragen, nichts Vergreistes, sondern Leben, Kunst, ein inspirierter Alltag, der hörbar werden will?!….Ok, es stimmt schon, ich merke es auch, dieses Magazin „Mehrspur“ von Wessels und seinem Team (auch Herr Kopetzky gehört inzwischen dazu) animiert mächtig. In dieser Ausgabe gibt’s noch mehr zum Hören. Und zum Spielen. Just listen!
Hmm, ich sitze nie vor einem meiner Radios und höre einfach nur gut zu. Außer vielleicht bei besonders erstaunlichen oder schrecklichen Nachrichten. Mit Hand vor dem Mund, weit geöffneten Augen und so.
Radio, das nicht nebenbei hörbar ist und das wäre ein Sponti-Radio doch? Fände ich anstrengend zu verarbeiten. Wahrscheinlich würde ich mich dann über Downloads der Sendungen freuen. Die würde ich downloaden so wie bei den kostenlosen Feature-, Reportage-, Kommentar- usw. -Dateien von Deutschlandradio. Und dann käme ich doch fast nie dazu, sie zu hören. Bei Dradio machte ich das zwei Jahre lang, downgeloadete Dateien hamstern als Unterhaltung und Infotainmaint für passende Gelegenheiten. Die selten kamen. Denn gut zuhören ist selbst bei dem öffentlich-rechtlichen Radiojournalismus vonnöten.
Anders läge eine Sponti-Radio, wenn es geschickt so gemacht wird, dass auch NebenbeihörerInnen etwas davon haben, ohne das Gefühl, das Wesentliche zu verpassen.