vonDetlef Berentzen 14.04.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Bayerns Innenminister Joachim Herrmann spricht sich nach dem Germanwings-Unglück für ein Berufsverbot für Depressive aus. (Welt)

Durch den Entzug einer Fahrerlaubnis oder einer Pilotenlizenz ein faktisches Berufsverbot auszusprechen, ist eine sehr einschneidende Maßnahme. Sie muss im Einzelfall sehr gut begründet sein. Ein solches Verbot steht und fällt mit einer sorgfältigen medizinischen Begutachtung. Wenn diese zum Ergebnis kommt, dass etwa ein Pilot, ein Busfahrer oder ein Taxifahrer dauerhaft nicht mehr geeignet ist, Menschen oder sonstige Güter zu transportieren, ohne dass Gefahr für Leib und Leben anderer besteht, dann kann solchen Personen auch der Führerschein bzw. die Lizenz entzogen werden. (Joachim H.)

Bei einem Berufsverbot für depressive Menschen hätten sämtliche „Dichter und Denker“ nie arbeiten dürfen. Denkt darüber nach. (PinkQueenMommie; Twitter)

Wir haben keinen Kontakt mehr zur Wirklichkeit außer über die vom Menschen hergestellte Realität des geschäftemachens und der Organisation von Dingen, die wir manipulieren können.Wir stehen nur noch mit Artefakten und gesellschaftlicher Routine in Kontakt. In Wirklichkeit ängstigen wir uns sehr, etwas Tiefgreifendes zu berühren. (Erich Fromm: „Zur Pathologie der Normalität“)

Ich bin Schriftsteller. Von Beruf. Und depressiv. Was machen wir da jetzt? Ich meine, mit meinen Ideen und Texten kann ich potentiell eine gehörige Masse an Menschen erreichen. Ist das gefährlich? Vielleicht kann ich das aus meiner eigenen, depressionsverzerrten Sicht nicht so recht beurteilen. Sagen Sie es mir. Sollte man mir Berufsverbot erteilen – weil ich Depressionen habe? (Stern)

Blinde dürfen schon jetzt nicht Taxifahrer werden und Einbeinige nicht Fußballprofis, außer beim HSV. Und Depressive im Cockpit sind mindestens so gefährlich wie Kommunisten bei der Post….Jeder Fünfte leidet mindestens einmal im Leben unter einer Depression. Mit einem prompten Berufsverbot könnte man diese Leute stoppen und verhindern, dass sie sich vorher krankschreiben oder für berufsunfähig erklären lassen. Denn irgendwann drängen sie doch alle in Cockpits und Führerstände und wollen Sachen machen. Das klassische depressive Krankheitsbild. Damit dürfen sie nicht durchkommen. Es gibt schließlich genug Jobs in unsensiblen Berufsgruppen. Innenminister etwa kann jeder werden. (Berliner Zeitung)

Ein Berufsverbot für Depressive in den genannten Berufsgruppen würde daher unweigerlich dazu führen, dass eine hohe Zahl von Angehörigen dieser Berufe, Lokführer, Berufskraftfahrer, Busfahrer, Straßenbahnfahrer und nicht zuletzt Piloten, von einer Berufsausübung ausgeschlossen würde, die weder für sich noch für andere ein Risiko darstellen. Ihre berufliche Existenz damit wäre jedoch zerstört. Analog dazu müsste man dann wahrscheinlich auch für alle Angehörigen dieser Berufsgruppen, die im Verlauf ihres Lebens einmal unter einer Herz-/Kreislauferkrankung gelitten haben, ein Berufsverbot aussprechen, weil ja das Risiko bestehen könnte, dass sie im Rahmen ihrer Berufsausübung einen Herzinfarkt erleiden und dann die ihnen anvertrauten Passagiere in einen Unfall verwickeln könnten. Ähnliches könnte dann für Menschen mit Diabetes gelten, denen eine Unterzuckerung drohen könnte. (BDP, Berufsverband Deutscher Psychologen)

Berufsverbot für Depressive? Erst ein System fördern, das Depressionen nährt und dann so tun, als hätte man nichts damit zu tun? Dreist. (Glückskind/Twitter)

Schwer depressive Menschen in bestimmten Tätigkeiten mit einem Berufsverbot belegen zu wollen, das klingt nach psychischer Volkshygiene. Aus dem extremsten aller Einzelfälle solche Schlüsse zu ziehen, das grenzt an Wahnsinn. (Westfalen-Blatt)

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Zur Versachlichung der Diskussion ist vielleicht der Hinweis hilfreich, dass auch Minister ein sensibler Beruf ist. Folglich sollte, wenn man den Gedankengängen Herrmanns und Lauterbachs folgen will, jährlich eine gründliche psychologische Untersuchung durchgeführt werden, selbstverständlich inklusive Tests auf Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit, deren Ergebnis zu veröffentlichen wäre. Wer nichts zu verbergen hat, hat ja auch nichts zu befürchten. (Jungle World)

Bayerns Innenminister denkt über ein“Berufsverbot für Depressive“ nach. Ich kann gar nicht so viel kotzen und schreien, wie angebracht wäre. (Kathrin, Twitter)

Ich leide unter einer bipolaren Störung. Wenn ich manisch bin, schreibe ich viele Songs, wenn ich depressiv bin, kann ich nicht arbeiten. Ich versuche Medikamente zu vermeiden, weil sie meine Kreativität einschränken. Ich mache auch keine Therapie. Die tollsten Menschen, die ich kenne, haben meistens eine unglaublich traumatische Erfahrung hinter sich. Das meine ich nicht verherrlichend und wünsche es auch niemandem. Aber diese Traumata können Menschen empathisch werden lassen oder sie produzieren deshalb Kunst, die unglaublich schön ist. So etwas kann kreativ machen und deshalb würde ich meine Depression auch am ehesten als Geschenk beschreiben wollen. (Owen Pallett, taz)

Mein Körper gehört mir. Ich bin ich, du bist du, und es geht schlecht. Massen-Personalisierung. Individualisierung aller Bedingungen – des Lebens, der Arbeit , des Unglücks. Diffuse Schizophrenie. Schleichende Depression. Atomisierung in feine paranoide Teilchen. Hsyterisierung des Kontakts. Je mehr ich Ich sein will, desto mehr habe ich das Gefühl der Leere. (Unsichtbares Komitee: „Der kommende Aufstand“)

Manic depression befriends me. Hear his voice! Sanity now it’s beyond me. There’s no choice….Voices in the darkness. Scream away my mental health. Can I ask a question? To help me save me from myself. Enemies fill up the pages. Are they me? Monday till sunday in stages. Set me free! (Ozzy Osborne: „Diary of a Madman“)

Illustration: Joern Schlund

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