vonDetlef Berentzen 12.05.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Schon Walter Benjamin ging es in seiner ‚Einbahnstraße‘ nicht anders: „Als ein geschätzter, kultivierter und eleganter Freund mir sein neues Buch übersandte, überraschte ich mich dabei, wie ich, im Begriff es zu öffnen, meine Krawatte zurecht rückte.“ Nun trage ich keine Krawatte. Niemals. Aber ich kenne Hubert Klöpfer. Der Mann ist Verleger (Klöpfer& Meyer) am Fuße der Alb, ein Freund meiner Freunde vom Theater Lindenhof in Melchingen und er verlegt auch deren Texte – wunderbare Titel, in denen ich mich zu Hause fühle: Das ‚Melchinger Brevier‘ zum Beispiel, eine ‚Sammlung zum Sinnieren‘ von Bernhard Hurm und Uwe Zellmer: “ O Lust des Beginnens! O, früher Morgen!…Und erster Zug Rauchs, der die Lunge füllt! und du neuer Gedanke!“ Klar, die Verse sind von Brecht, aber wie soll ein Theater, auch eines auf der Alb, ohne den Augsburger auskommen?

Doch wieder zur Krawatte. Ich habe also keine und das Buch vom Klöpfer, um das es geht, ist auch nicht mehr so ganz neu, es liegt seit einiger Zeit auf einem der vielen Stapel in meinem Zimmer, die alle auf gefl. Beachtung warten. Wobei mir Arno Widmann einfällt. Er schrieb in den Anfängen der taz diese herrliche Rubrik: „Vom Nachttisch geräumt“, in der er gebrauchte Bücher präsentierte, ja gebrauchte!, nicht alles muss neu sein, um aktuelle Bedeutung zu haben. Vieles ist auch schon gesagt, vielleicht sogar besser. Und die Grundtatsachen des Leben bleiben ohnehin die von gestern. Kurzum das Tübinger Buch über die „Geheimsache“ erschien bereits im letzten Jahr und es könnte wichtig sein.

Es ist eine Stimme im Tragödienchor derer, die zum Thema „NSU“ forschen, schreiben und über Phantome, Zellen, Verrat, Lügen, Verschweigen und Verschwörungen publizieren. Ein verdammt weites Feld. Ein Minenfeld sogar. Deshalb schreiben gleich neun Autoren und eine Autorin über die „Geheimsache NSU“. Andreas Förster firmiert als Herausgeber: „Zehn Morde und von Aufklärung keine Spur“. Nun ja, das ist mittlerweile bekannt, das mit dem fehlenden Willen zur Aufklärung, auch das mit dem blinden rechten Auge, also wären diese Aufsätze, Essays, Einlassungen, Verlassungen nichts Neues: fast täglich liest man in Splittern und will irgendwann nicht mehr, weil aus all dem nichts folgt, und man sich nur noch einen eiskalten Engel wünscht, der endlich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit auf den Tisch liegt, doch die gibt es nicht, die Eine ohnehin nicht, aber da ist nun mal dieses Buch und es ist nicht das Immergleiche, nicht die alltägliche kleine Dosis Terror, sondern eine Verdichtung, die frieren macht. Und andere provoziert, die in ihren leakigen Blogs den Herausgeber der „Schmiererei“ und „Desinformation“ bezichtigen  – Touché! Ich sagte ja, ein Minenfeld, aber dieses Buch ist wahrscheinlich eines von denen, die man braucht, um sich eine Spur durch die Verwirrung zu legen, die der ganze Komplex der NSU-Inszenierung auslöst. Und natürlich ist seit Erscheinen der „Geheimsache“ im Jahre 2014 schon wieder viel passiert, an’s Licht gekommen, in’s Dunkel gezerrt worden, aber sie „bleiben dran“, behaupten die Autoren. Ich bitte darum, Aufklärung braucht Vielfalt. Auch in Buchform.

Aber Aufklärung braucht auch Kunst. Erst recht ein Theater, das Situationen schafft. Es braucht mehr als Lesen und Wissen. Es braucht alle Sinne, um zu begreifen, wie die Kälte, die Fremde sich derzeit ausbreiten. Es braucht die spürbare Intervention im aktuell Alltäglichen. In Burladingen zum Beispiel, unweit von Tübingen, Melchingen und dem Theater Lindenhof: „Seit vor einer Woche bislang unbekannte Täter das Burladinger Kino mit Parolen wie „Verräter“ und mit Hakenkreuzen besprüht haben – höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit einem dort zuvor gezeigten Dokumentarfilm über die rechtsextreme Szene in Deutschland – ist Burladingen deutschlandweit in den Medien. Auch Rathaus und Polizeiposten wurden besprüht. (Schwarzwälder Bote)

Doch so wie es ist, bleibt es nicht. Am Wochenende erhielt ich zum Beispiel die Nachricht von einer spontanen Intervention des Lindenhof-Ensembles: „Aus aktuellem Anlass möchten wir darüber informieren, dass wir unseren Spielplan geändert haben. Am 03.06.2014 zeigen wir statt der Komödie „Das Spiel von Liebe und Zufall“ um 19 Uhr „Elser – Allein gegen Hitler“ mit anschl. Podiumsdiskussion. Wie Sie der Presse entnehmen konnten, wurde der Film „Elser – er hätte die Welt verändert“ in Burladingen vom dortigen Kinobetreiber wegen Nazischmierereien und der Angst vor weiteren Repressalien zunächst abgesetzt. Nun wurde er zum Glück wieder in den Filmvorführungsplan aufgenommen.“ Was mich dann doch wieder wärmt.

Geheimsache

Theater Lindenhof

 

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