vonDetlef Berentzen 15.06.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Europas Grenzen sind die tödlichsten Grenzen der Welt. Jahr für Jahr gibt es Tausende Tote. Aber was geschieht eigentlich mit den Toten an den Außengrenzen? Die Opfer der militärischen Abriegelung werden massenhaft verscharrt. Sie tragen keine Namen. Sie bekommen keine Blumen. Und ihre Angehörigen werden nicht ermittelt. Das Zentrum für Politische Schönheit ändert das mit seiner jüngsten und radikalsten Aktion und erweist den toten Einwanderern Europas die letzte Ehre. (ZPS)

Sie hatten wieder etwas vor. Das konnte man spüren. Sie waren nervös, kaum ansprechbar, verschwiegen ebenfalls. Wollten sich wieder auf’s Spiel setzen, Neues inszenieren, weiter gehen: die Rettungsversuche syrischer Flüchtlingskinder waren nur ein Anfang. Das Berliner „Zentrum für für Politische Schönheit“ macht sich seit heute morgen wieder sicht- und hörbar. Kündigt sich an. Headline: „Die Toten kommen“.

In den kommenden Tagen werden Menschen, die auf dem Weg in ein neues Leben ertrunken oder verdurstet sind, nach Berlin kommen. Sie werden aufgebahrt, ausgestellt und der Bevölkerung auf diesem Weg sichtbar gemacht. „Gemeinsam mit den Angehörigen haben wir 10 menschenunwürdige Grabstätten geöffnet und die Toten exhumiert. Sie sind jetzt auf dem Weg nach Deutschland“, erklärt Philipp Ruch, Chefunterhändler des Zentrums. Der Eskalationsbeauftragte Stefan Pelzer fügt hinzu: „Nach dem Willen des deutschen Innenministers sollten die Toten unsichtbar bleiben. Wir schaffen Abhilfe und bringen sie ins Zentrum der Macht: in das Berliner Regierungsviertel.“
Die Opfer der Abschottungspolitik werden im Herzen Europas – im mächtigsten Mitgliedsstaat der EU – menschenwürdig bestattet. Ihr Tod kann nicht rückgängig gemacht werden. Aber ihre sterblichen Überreste können Europas Mauern zu Fall bringen. Europa ist ein Einwanderungskontinent. „Der Aktion gingen die intensivsten Recherchen seit Bestehen des Zentrums für Politische Schönheit voraus“, so Paul Stauffenberg. „In den vergangenen Monaten haben wir fünf EU-Außengrenzen besucht, die Angehörigen von Flüchtlingen ermittelt, Massengräber besichtigt und Kühlhäuser inspiziert. Die Zustände vor Ort sind Europas Schande. Die Toten werden weggeworfen wie Müll.“

 

Grabstätten öffnen, „europäische Mauertote“ vor dem Reichstag begraben, den Namenlosen Namen geben – Philipp Ruch (s. Foto) & seine Action-Family inszenieren die alltägliche eiskalte Ignoranz, fordern Reaktionen von den Bestattungsunternehmern in den europäischen Parlamenten. Es stimmt schon, es braucht ein hohes Niveau an Provokation, bevor Routinen haltlos werden. Ob, wie und in welchem Umfang diese Provokation tatsächlich auf die Straße und ins Regierungsviertel kommt? Keine Ahnung! Doch allein die verbale Ankündigung transportiert „politische Schönheit“ und Brisanz genug. Man darf gespannt sein.

Termine
16.06./10 Uhr/Muslimischer Friedhof Berlin-Gatow, Maximilian-Kolbe-Str. 6, 14089 Berlin: Das Zentrum für Politische Schönheit bestattet eine Mutter und ihr zweijähriges Kind. Erwartet werden u.a. die mit der Flüchtlingsabwehr und den EU-Aussengrenzen betrauten Stabsstellen des Bundesinnenministeriums.
Weitere Termine werden aufgrund der politischen Brisanz und der zu erwartenden Repression kurzfristig kommuniziert.
21.06./14 Uhr an der Neuen Wache/Unter den Linden 4, 10117 Berlin: Ein „Marsch der Entschlossenen“ bringt Tote zum Kanzleramt, um sie direkt vor den politischen Entscheidungsträgern zu beerdigen. Der Vorplatz des Kanzleramtes wird so in eine Gedenkstätte der besonderen Art verwandelt: ein Friedhof für die „unbekannten Einwanderer“. Angeführt von drei Bagger treten Entschlossene einen stillen Marsch zum Kanzleramt an, um dort die Grundsteine für den neuen Gedenkfriedhof aufzustemmen. „Wir rufen alle Entschlossenen auf, am Sonntag mit uns ins Regierungsviertel zu ziehen und den Vorplatz des Kanzleramtes aufzustemmen“, heißt es dazu auf der Internetseite des Zentrums. „Die Europäische Union braucht viel mehr Friedhöfe für ihre tödliche Politik. Fangen wir direkt am Kanzleramt damit an.“

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