vonDetlef Berentzen 06.07.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Gerade jetzt vor Kurzem hatte ich genau diesen Fall: ich saß am Wochenende im Kino, hatte Pickettdienst und während des Films vibrierte mein Telefon und ein Jugendlicher rief an, der in der Krise steckte. Da muss man sofort raus aus dem Saal und parat sein, um mit dem Jugendlichen zu reden. Fast wollte ich auch schon in’s Auto springen und zu ihm fahren, aber das hat es dann zum Glück akut nicht gebraucht. Wir haben stattdessen für den nächsten Tag einen Notfall-Termin vereinbart. (Matthias Baumann)

Für die Sendung „Kontext“ (SRF2Kultur) war ich u.a. mit Matthias Baumann, einem der mobilen Psychotherapeuten im Badener MST-Team (s.Foto) des Kantons Aargau unterwegs. MST steht für „Multisystemische Therapie“, ein aus den USA importiertes Konzept (Scott Henggeler u.a.) für den Einsatz bei sozial schwer gestörten und mitunter auch delinquenten Jugendlichen, ein Konzept, das sie vor den üblichen Heim-, Psychatrie- und Knastkarrieren bewahren soll. Dabei ist die Strategie von MST besonders: das Konzept bricht mit dem konventionellen Setting in der stationären therapeutischen Praxis, ist eine „aufsuchende“ Therapie und mehr noch: das MST-Therapeutenteam steht für seine Klienten rund um die Uhr zur Verfügung – an allen sieben Tagen der Woche. Drei bis fünf Monate lang.

In dem konkreten Einsatz ging’s um einen schweren Konflikt zwischen dem Jungen und seinem Vater, wo es dann wirklich so weit gehen kann, wenn ich’s nicht schaffe, die Beiden zu trennen, dass auch die Gefahr von körperlicher Gewalt besteht. In dem Fall gab’s zum Beispiel genau wegen dem Problem schon mal eine Gefährdungsmeldung auch, da wurde das Familiengericht eingeschaltet und mein Auftrag ist, genau diese körperliche Gewalt zu verhindern. Es kam dann zum Glück auch nicht so weit, weil schon allein das Wissen der Familie, dass die uns anrufen können, bevor es eskaliert, ist schon eine große Stütze und eine Hilfe. Und dann geht’s halt wirklich darum, dass man mit den Klienten einzeln spricht und schaut, dass sie diese Schritte lernen, um sich zu trennen bevor die Eskalation kommt. (Matthias Baumann)

 

MSTBaden3Juni2015

„Multisystemische Therapie“: Seit dem Jahre 2007 ist das Konzept, das kognitiv-verhaltenstherapeutische und systemisch-familientherapeutische Prinzipien integriert, eine Option in der Schweiz: initiiert von Weinfeldener Kinder- und Jugendpsychiatern rund um Bruno Rhiner (s.Foto rechts) wurde MST zunächst im Thurgau praktiziert, später dann im Aargau, in Basel-Land, auch in Basel Stadt, andere Regionen äußern reges Interesse. Nach Jahrzehnten der Entwicklung und Evaluierung in den meisten Bundesstaaten der USA (ausgehend vom „Family Services Research Center“ an der „Medical University of South Carolina“) ist aus MST und seinen „Services“ ein sehr  erfolgreiches Markenprodukt geworden, ein intervenierendes Verfahren, das in den USA mit großem Erfolg bei sozial schwer auffälligen Kindern und Jugendlichen im Alter von 12-17 Jahren zum Einsatz kommt. Weltweit sind es inzwischen ungefähr 500 lizenzierte Therapeutenteams, die intensivst mit jährlich 23.000 Jugendlichen, aber auch – und gerade das ist das Besondere an MST – aber auch mit all jenen „Systemen“ arbeiten, die den Alltag der Kids definieren: Familie, Schule, Freunde, Peer Group, Nachbarn und Gemeinde!

„Wenn man all das zusammennimmt und eine Therapie aufbauen will, dann kann man schlecht den Jugendlichen alleine behandeln, sondern kommt automatisch darauf, man muss das ganze System behandeln, man muss die Eltern, die Schule, die Peers und den Jugendliche und die Community mit integrieren in das Modell.“ (Bruno Rhiner)

 

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