vonDetlef Berentzen 18.09.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Ein ehemaliger Fremdenlegionär, der in Indochina war, erzählte mir mal, daß sie auf alles geschossen hätten, auf Frauen und Kinder, auf Rinder, Hühner und Schweine – nur nicht auf Affen. Als ich ihn fragte „Warum?“, sagte er: „Sie erinnerten uns an Menschen und wir hatten Erbarmen mit ihnen.“ So weit kommt es, wenn uns nicht mehr die Menschen selbst an Menschen erinnern. (Peter Bichsel)

Eines schönen Morgens, kurz vor Herbstbeginn, blähte sich der Chef des Blattes wieder mal mächtig auf, ihm schwoll der Kamm, all das verschweizerte Denken ward ihm zu eng, er griff zur Feder wie zu einem Gewehr und verfluchte die Nachbarn, diese Deutschen, ihre Impotenz: Germans to the front, ihr Luschen!, erst recht die deutschen Nachgeborenen, die einst auftauchten aus der Flut, in der ihre Väter und Mütter untergegangen waren: Bringt Opfer und keine Spitalbetten! Wer braucht eine Flatrate, wer braucht ein Gespräch, wenn er Kanonen hat?! Jedes Wort schien ihm ein Appeasement zu viel. Das wollte er endlich mal schreiben dürfen!  Saß also hinter den Sandsäcken seiner Schweizer Redaktion und erklärte den Gezeichneten, daß man inzwischen auf alles schießen darf, nur nicht auf Affen.

Aussenpolitik ist für Deutschland Diplomatie, Gespräche, Vermittlung. Lieber telefoniert Angela Merkel dreissigmal mit Wladimir Putin, um ihn von seinen Machtspielen in der Ostukraine abzubringen, als dass sie nur schon einige Militärberater nach Kiew schicken würde, als Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Osten. Wenn dann doch einmal die Frage nach einem Einsatz militärischer Mittel auftaucht, geht die öffentliche Debatte in Deutschland rasch in overdrive. So war es etwa, als die Frage einer deutschen Beteiligung an einer Intervention in Libyen virulent wurde, mit dem Resultat, dass die Franzosen und die Engländer (und die USA) bombardierten, während Deutschland ganz diskret in der Logistik aushalf und Spitalbetten für mögliche Kriegsopfer bereitstellte. Wenig überraschend, dass das Militärbudget von Berlin relativ klein ist, nur 1,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Der weltweite Durchschnitt beträgt 2,4 Prozent. (Felix E. Müller, NZZ am Sonntag, 13. September 2015)

Welch ein Dichter!  Beim Schreiben seiner kriegerischen Sätze hört er das Pfeifen der Geschosse wie Musik, ein finales Lied vom Tod, der dem Feind aufspielen wird, um ihm später ein Grab in den Lüften zu schaufeln, denn da liegt man nicht eng, dichtete einst Celan, gleich morgen würde der Chef irgendeinen Sohn an die Front schicken und ihn zuvor wissen lassen, daß der Tod ein wahrer Meister ist, ein Meister der fette Boots trägt, um einen Frieden zu schaffen, der keine Worte mehr braucht, nur noch genügend Tote und ihre Fugen.

…Ohne boots on the ground wird nach Ansicht aller Experten in Syrien noch lange kein Friede einkehren. In Nordafrika bombardierte die EU zwar den Despoten Ghadhafi aus der Macht, glaubte aber danach, das Land mit Diplomatie und Hilfsorganisationen stabilisieren zu können. Nun ist Libyen ein failed state und erlaubt Zehntausenden die Flucht nach Europa. An dieser Situation wird sich so rasch nichts ändern. Im Gegenteil: Mit dem wachsenden Einfluss Deutschlands und dem wirtschaftlichen Niedergang von Frankreich und Grossbritannien wird sich die Verschweizerung der EU-Aussenpolitik verstärken. Damit werden noch lange Flüchtlinge ihr Glück in Europa suchen, auch aus neuen Krisenländern, und den EU-Mitgliedstaaten innenpolitische Probleme bereiten. Und die SVP muss noch lange darauf warten, bis jemand – aber nicht die Schweiz! – «die Probleme in den Herkunftsländern löst». Die Verschweizerung Europas hat ihren Preis. Anders gesagt: Die EU ist nicht folgenlos eine Grossmacht mit Friedensnobelpreis (Felix E. Müller, NZZ am Sonntag, 13. September 2015)

 

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