Was die Schriftsteller schreiben /ist ja nichts gegen die Wirklichkeit /jaja sie schreiben ja daß alles fürchterlich ist /daß alles verdorben und verkommen ist /daß alles katastrophal ist /und daß alles ausweglos ist /aber alles das sie schreiben /ist nichts gegen die Wirklichkeit /die Wirklichkeit ist so schlimm /daß sie nicht beschrieben werden kann /noch kein Schriftsteller hat die Wirklichkeit so beschrieben / wie sie wirklich ist /das ist das Fürchterliche“ (Thomas Bernhard: „Heldenplatz)
Lieber Michael,
kurz bevor ich gestern in der Nacht anfing, meine nächste Magical Mystery Tour zu planen, hörte ich im Radio noch dies: „Bei den Regionalwahlen in Oberösterreich hat die rechte Freiheitliche Partei (FPÖ) massive Gewinne eingefahren. Laut vorläufigem Endergebnis kam sie auf 30,4 Prozent der Stimmen, doppelt so viel wie bei der vorigen Wahl im Jahre 2009. Die Rechtspopulisten wurden damit zweitstärkste Partei…..“ Plötzlich fröstelte es mich und ich musste an meine Wiener Kulturreportagen für den SFB und die Wiener Zeitung vom Anfang der 90er denken, die im Finale immer wieder neu auf Bernhards Heldenplatz endeten. Nichts war vorbei. Alles gleich. Furchtbar. Erinnerst du dich noch an die alte Dame, die mich im Burgtheater so spitz wie ärgerlich darüber informierte, daß dies ein „KundK-Theater“ sei und Peymann, Moderne und Postmoderne in Wien bitteschön nichts zu suchen hätten. Oder an die Fiakerfahrer vor der Albertina, die tatsächlich (!) das „Arische“ als Hauptvoraussetzung für ihren Beruf benannten? Und nun, wo die Flüchtlinge kommen, wird wieder hemmungslos gehaidert. Que faire? Liebermann hätte gekotzt.
Bussi
d.
ja, ich erinnnere mich sehr gut! Doch gemach, es ist Herbst. Da trägt der Österreicher seine liebste Tracht, die Niedertracht. Leider. Und es steht uns eine lange Zeit der Kälte bevor. Das hat Gründe. Einer der wichtigsten liegt im Mangel an Aufklärung und am österreichischen Bildungssystem. Seit Kaiser Franz I. und seinem Staatskanzler Metternich ist das österreichische Bildungssystem vor allem darauf ausgerichtet, brave Untertanen heranzuziehen. Daran hat auch der vorübergehende Frühling der Ära Kreisky in den 1970er Jahren nicht viel geändert. Alsbald ist die Restauration zurückgekehrt.
Unser gutes Sozialsystem gepaart mit einem Mangel an Geschichtsbewusstsein und Bildung führt außerdem zu unreflektiertem Anspruchsdenken: Alles für mich und zwar gratis und immer. Dazu kommt noch die notorische seelische Instabilität der Menschen in diesem Land. Es ist kein Zufall, dass die Psychoanalyse in Österreich erfunden wurde. Wer permanent auf dem schmalen Grat zwischen Größenwahn und Depression balanciert, ist anfällig für Heilsversprechen. Die bekommen die Menschen nun und zwar in der passenden österreichischen Dosierung. Ein Drittel Drohung, ein Drittel Opferbalsam, ein Drittel Glorienschein. Das läuft so ab: Zuerst heißt es, dass die Ausländer, die Flüchtlinge, die Fremden kommen, um den Einheimischen alles wegzunehmen. Dann wird erklärt, dass die Österreicher arme Opfer sind. Verraten von der EU, von der eigenen Regierung, den Linken. Doch dann kommt die Lösung, dass es den Österreichern wieder gut geht. Ein österreichischer Herrscher, der die Grenzen dicht macht, die Fremden rausschmeißt und den Einheimischen und nur diesen Arbeitsplätze und billige Wohnungen, Autos und Benzin gibt. Dass das alles nicht funktionieren kann und wird, verstehen die Menschen nicht. Selbst wenn eine breite Mittelschicht eine ordentliche fachliche Ausbildung in einem bestimmten Bereich haben mag, fehlt es doch ganz massiv an umfassender Bildung, an der Fähigkeit Zusammenhänge zu verstehen und gesellschaftspolitische und ökonomische Perspektiven zu erkennen.
Was zudem bei der Analyse der österreichischen Seele immer zu beachten ist, ist die übergroße Bereitschaft hierzulande, sich tatsächlich und immer wieder als Opfer zu sehen. So vermeinen meine werten Landsleute 1938-45 tatsächlich „Opfer“ gewesen zu sein. Vergessen werden dabei die Tausenden, die am Heldenplatz gejubelt hatten, diejenigen, die ihre jüdischen Mitbürger aus den Wohnungen geworfen und das Trottoir mit der Zahnbürste haben schrubben lassen und schon gar nicht geredet wird von den KZ-Wächtern und Massenmördern. So fühlen sie sich auch jetzt wieder als Opfer, obschon sie wie die gut genährten Kühe mitten im Kleefeld stehen. Diese spezifische Form des latenten österreichischen Opfergefühls macht das Leben auch bequem:
Opfer verdienen Zuwendung, Trost, Gratifikationen, ohne dafür etwas tun zu müssen. Daraus werden Rechte abgeleitet. Auch dies erklärt, warum Heilsverkünder hier so gerne gehört und gewählt werden. Vor allem wenn sie simple Erklärungen und passend erscheinende Sündenböcke bei der Hand haben. Nichts anderes macht die FPÖ, wenn sie auf ihrer Homepage ihren Bundesparteiobmann Strache im Hinblick auf die kommenden Wiener Wahlen zitiert: „Die Angst vor dem 11. Oktober sitzt bei den Roten tief in ihren Knochen. Auf alle Fälle schlägt der bisherigen selbstherrlichen SPÖ am 11. Oktober die letzte Stunde und das ist auch im Interesse der gesamten Bevölkerung Wiens. Wir haben erstmals seit 70 Jahren die Chance, auch wirklich alles zum Positiven zu wenden und den rot-grünen Spuk zu beenden. Wien muss aus den rot-grünen Fängen befreit werden“.
Bis Mai 1945 herrschte in Wien die NSDAP. Die FPÖ wurde erst zehn Jahre später, also 1955 gegründet. Wenn Strache sagt: „dass wir dort erstmals seit 70 Jahren stärkste Kraft werden können“, möchte er wohl direkt dort anschließen, wo die NSDAP aufgehört hat. Die Botschaft an die Kernzielgruppe ist eindeutig. Hier sollen wieder die Arier das Sagen haben. Auf dem Kutschbock des Fiakers wie auf dem Bürgermeistersessel.
Ich harre aus. Trotzdem.
Alles Liebe
M.