Beim Blick aus dem Fenster Richtung Bayerischer Platz erinnere ich mich wieder. Meine Großmutter hat mir zeitlebens davon erzählt, aber immer nur ein wenig: von der Flucht, von der Angst, wie sie sich und ihre jüdischen Freunde in einem Wilmersdorfer Keller verstecken musste und eines Tages meine Mutter verloren ging, keiner wusste, wo sie war. Großmutters Sohn war längst desertiert, also ist sie später durch die Zonen gereist, Suchmeldungen hat sie geschrieben, Zettel an Bahnhöfen ausgehängt, gedacht, ihre Kinder wären tot, wie all die anderen, die zuvor noch auf den Straßen lagen,…immer wenn sie an diese Straßen dachte, wurde sie ganz still und hatte Tränen in den Augen. Doch dann schneuzte sie sich, erzählte weiter und traf endlich diese Frau, die ein Einsehen hatte und eine Kammer unter’m Dach. Dort haben sie gemeinsam gewartet. Und weiter gesucht. Und gefunden. Es soll ein Frühlingstag gewesen sein, als endlich alle wieder in der Stube saßen und erzählten. Immer, wenn die Sonne so fröhlich scheint wie heute und der Himmel actualiter blau, dann höre ich sie wieder erzählen. Denn sie haben nie aufgehört zu erzählen. Von der Hoffnung. Und der Hoffnung auf Hoffnung. Und der Möglichkeit, dass da draußen immer einer wartet, der dir einen Kaugummi schenkt. Und dann ist der Krieg vorbei.
Illustration: Joern Schlund