Ja doch, sie brauchen ihn. Und wenn nur, um sich an dem alten Pfeifenraucher zu reiben. Oder den großen Universalgelehrten gepflegt zu ignorieren. Da werden sie dann nachlässig, diese Jungen, dieser schreibende Nachwuchs, den die Kulturbeflissenen in den Literaturmagazinen, gerade auch im Radio, hoch- und runterjubeln, aber bei dessen echt coolen Statements immer wieder vergessen nachzufragen, zu intervenieren, um die HörerInnen mit kritischer Substanz zu nähren. Plötzlich stehen dann dreiste Sätze im Raum des Studios und der junge Schriftsteller (den Namen habe ich verlegt) lacht ihnen gehässig nach: …Dieser Bloch, mit seinem Prinzip Hoffnung, mit seinem Land, in dem noch niemand war, ein Land, das nur seine eigene Kindheit meint, alles Unsinn! …Das muss reichen.
Holla!, denke ich, einen Mann wie Ernst Bloch so abzubügeln, dazu gehört schon eine Menge Arroganz. Doch an der herrscht ohnehin kein Mangel: Eitelkeiten werden im Literaturbetrieb honoriert. Utopien weniger. Und es ärgert mich, dass Blochs Postulat, bitte schön das Hoffen zu lernen, mitunter so wenig Resonanz findet und einfach im Kältestrom vereist. Doch immer bevor ich mich – von Herzen ungerecht – allzu heftig über die maingestreamte Ignoranz der jungen Autorengarde beschwere ( die noch nicht mal die Haschischexperimente von Benjamin und Bloch goutieren kann, weil sie nur Weißwein trinkt), kommt von irgendwo ein Lichtlein her.
Diesmal leuchtete es aus Tübingen herüber. Hubert Klöpfer rief an: Willste mal lesen? Ich wollte. Und warum auch nicht. Der Titel passte doch: „Wo noch niemand war“. Und was Gert Ueding, emeritierter „Ordinarius für Allgemeine Rhetorik“ der (von Studenten so benannten) „Ernst-Bloch-Universität“ und einst Mitbewohner der Bloch’schen Hausgemeinschaft (Adresse: Im Schwanzer 35), in seinem neuen Buch an Erinnerungen in Bezug auf den Lehrer, Freund und Mentor vorlegt, das macht munter, ist farbig und lebendig, inspiriert und meint nicht nur den Bloch, sondern auch dessen Frau Karola, den Mayer, den Jens und all die anderen – damals war’s. Außerdem ist es prima, wenn endlich mal wieder in einem Buch geraucht wird. Fast hätte ich wieder meine alte Pfeife gestopft, um den nächsten literarischen Spaziergang auf der Neckarinsel vorzubereiten – Bloch und Hölderlin im Gepäck. Aber jetzt auch den Ueding.
Es ist hervorragend, dass mit seinem Buch gerade kein wissenschaftliches Traktat daher kommt, das einmal mehr das Unikat Bloch rezitiert, um das utopische Denken zu behaupten, sondern dass es ganz und gar persönliche Erinnerungen sind: an konkrete Begegnungen, Situationen, an Gefühltes und Reflektiertes – nach all den Jahren (Bloch starb 1977) liebevoll und begeistert genug vorgetragen. Und nicht ohne Kampfesmut! Immerhin haben Utopie und Hoffnung nicht aufgehört zu atmen, sie werden nur allzu oft ignoriert. Dabei repräsentieren sie ein Denken, das wir dringend brauchen und daher bleibt Ernst Bloch ein gebrauchter Denker.
Insofern hat Gert Ueding hat einfach recht: „Die ‚utopischen Stoffe, aus denen die Erde besteht‘, sind weder aufgezehrt noch verschwunden; dass wir sie nicht finden, selbst mitten im Alltag, geht nicht zu ihren Lasten, sondern zu Lasten einer verarmten, praktizistisch verkümmerten, gegenwartssüchtigen Wahrnehmung und Denkweise!“ Yes, Sir! Den quicklebendigen und neugierigen Erforscher dieser utopischen Stoffe, der zu Lebzeiten nicht allzuviel Autobiographisches veröffentlichte, bringt Ueding uns nah, ganz nah. Nicht nur durch sein Buch. Sondern auch mit Hilfe seiner Lesungen. Heute abend zum Beispiel. Im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum.
Es war zu Beginn der 1960er, als die Eisernen der DDR einen Menschen, Jürgen Teller, Schüler von Ernst Bloch und Dozent in Leipzig, an die Maschinen ihres dortigen Stahlwerks stellten – eine Strafmaßnahme! Er, ein Intellektueller, verlor dabei seinen linken Arm, aber nicht seinen Mut. Ich habe Teller später bei Karola Bloch in Tübingen getroffen und wir haben auf Bloch angestoßen. E. B. ließen die Eisernen nicht mehr zurück. Bloch blieb in Tübingen, einem deutschen Butzenglas – Städtchen, von dem Hölderlin an Goethe nach Frankfurt schrieb, es sei hier sehr beschaulich, aber sehr eng und deutsch und er möchte hier nicht begraben werden. E.B. blieb.
Ein bisschen Hoffnung tut not, in Zeiten, wo sie begraben werden soll. Sie rufen: Zurück! Zurück in die verklärte Zeit, wir sind konservativ, wir sind die deutsche Zukunft.
Aus Tübingen (- Stift) wehte der Geist der Aufklärung, nachdem er aus dem fernen Königsberg hier gelandet war und Hegel sich an ihm reiben konnte. Wir aber leben in der Zeit des Mausklicks und wenn sie ihn hinter dem Monitor finden, raunen sie: E. B., ach ja; hmm,da steht ja, hmm. Und denn noch das Zeug lesen; Zukunft, was heißt hier Hoffnung, hmm…
Detlef, E. B. wird immer gelesen, auch wenn solche Autoren scheinbar schon vergessen sind. Und den Wein, den kennen die doch nur von ALDI!