Mein lieber Detlef,
ich hatte dir versprochen, etwas über die positiven Aspekte der Bundespräsidentenwahl in Österreich zu erzählen. Ein paar gibt es und natürlich fehlt nicht ein leicht bitterer Beigeschmack. Wie könnte es auch anders sein hierzulande.
Stadtluft macht frei, Landluft freiheitlich.
In diversen Zeitungskommentaren wird nun eine Zweiteilung des Landes konstatiert, ein Graben, der sich durchs Land zöge und natürlich fordern vor allem Konservative und Freiheitliche, dass der neue Bundespräsident auf die andre Hälfte, also diejenigen, die Hofer gewählt haben, zugehen möge. Ganz so, als ob sich die FPÖ jemals einen Deut um Pluralismus gekümmert habe. Bei ihnen heißt es immer schon „Österreich zuerst“. Ihr Österreich ist das der Autochthonen oder derer, die sich als solche fühlen. Für die anderen heißt es „Knüppel aus dem Sack“, wie das der Wiener FPÖ-Vizebürgermeister (ohne Portfolio) Johann Gudenus beispielsweise für „linke Schreier“ in Aussicht stellt.
Doch in der Wiener Stadtluft war der Wunsch nach einem Klima der Toleranz und Freiheit doch deutlich größer als die Sehnsucht nach freiheitlichen Knüppeln. In Wien wurde – wie in den Landeshauptstädten – mehrheitlich für Van der Bellen gestimmt. In den Innenbezirken sogar mit Ergebnissen zwischen 70% und 80%.
Land ohne Aufklärung
Auf dem flachen Land, in den Hügeln und den engen Bergtälern schaut das Leben anders aus. Joseph II. hat die Bauern zwar aus der Leibeigenschaft befreit. Doch von da bis zum aufgeklärten und eigenständigen Denken ist es ein weiter Weg. Josephs Nachfolger waren ausnahmslos Anhänger der Restauration und des Neoabsolutismus. Nach einem kurzen und zaghaften Demokratieversuch in den 1920er Jahren herrschten in Österreich erst die Austrofaschisten und dann die Nazis. Nach 1945 gefiel sich Österreich in seiner Opferrolle und richtete sich im kulturellen Mief gemütlich ein. Die 13 Jahre der Ära Kreisky waren definitiv zu kurz, um hierzulande ein nachhaltiges Bewusstsein für aufgeklärtes Denken zu schaffen. Materieller Wohlstand und soziale Sicherheit wurden erreicht, die solide Basis einer mehrheitlich umfassend gebildeten und erkenntnisfähigen Bevölkerung nicht. Österreichs Bildungssystem produziert deutlich mehr funktionelle Analphabethen und Leseschwache als Universitätsabsolventen. Kein Wunder, dass bei den Bildungsverlierern einfache Parolen auf fruchtbaren Boden fallen.
Viele kluge Leute
Die 50% Hofer-Wählerinnen und -Wähler, die Robert Menasse im taz-Gespräch je zur Hälfte in Faschos und Borderliner teilt, sind vor allem Unwissende, Erkenntnisresistente und Halbgebildete. Diesem Aspekt lässt sich natürlich auch etwas sehr Positives abgewinnen. In Österreich muss es demnach immerhin 50% kluge Leute geben. Wer Van der Bellen gewählt hat, wusste ganz genau warum. Das war eine klare und begründete Entscheidung, nicht das Resultat einer Gefühlsaufwallung. Van der Bellen ist kein Heilsverkünder, keiner der simple Lösungen verspricht oder Wahlzuckerl verteilt. Wer sich für Van der Bellen entschieden hat, wusste (und weiß) ganz genau, dass auch künftig nicht Milch und Honig fließen werden. Weder für die Eingeborenen noch für die Zugewanderten.
Heimat für alle
Wofür ich Van der Bellen außerdem dankbar bin, ist, dass er den Heimatbegriff aus den Krallen der nationalistischen Vereinnahmung befreit hat. Von vielen bespöttelt, von Hofer dafür heftig attackiert, hat es sich der Wirtschaftsprofessor nicht nehmen lassen, immer wieder von Heimat zu sprechen und den Begriff damit aus dem Lederhosenjodeleck zu holen. Das ist schön und eröffnet ganz neue Perspektiven. Wenn die aufgeklärte und weltoffene Hälfte dieses Landes es schafft, den Heimatbegriff in den kommenden Jahren zu besetzen und mit neuem Sinn zu füllen, dann fehlt den freiheitlichen Nationalisten ein wesentliches Identifikationsmerkmal. Gute Aussichten.
In diesem Sinne lade ich dich gern zu einem Besuch in meiner Heimat ein.
Auf bald M
Illustration: Joern Schlund