Die Welt der alten Menschen, aller alten Menschen, ist in mehr oder weniger ausgeprägter Form die Welt der Erinnerung. Man sagt: am Ende bist du das, was du gedacht, geliebt, vollbracht hast. Ich möchte hinzufügen: du bist das, was du erinnerst. Außer den Gefühlen, die du geweckt hast, den Gedanken, die du gedacht hast, den Taten, die du vollbracht hast, sind die Erinnerungen, die du bewahrt und nicht in dir ausgelöscht hast, deine Reichtümer und du bist nun ihr einziger Wächter. (…)
Geh deinen Weg in Gedanken nochmal. Die Erinnerungen werden dir helfen. Aber die Erinnerungen werden nicht auftauchen, wenn du nicht hingehst, sie in den entferntesten Winkeln deines Gedächtnissses aufzustöbern. Das Erinnern ist eine geistige Tätigkeit, die du oft scheust, weil sie mühevoll und peinlich ist. Doch es ist ein heilsame Tätigkeit. In der Erinnerung findest du, trotz der unzähligen Ereignisse, die du erlebt hast, dich selber wieder, deine Identität. (Norberto Bobbio: „Vom Alter – De Senectute“)
Illustration: Joern Schlund