Hallo Detlef,
nein, das war kein kurzer Sommer der Anarchie, doch nicht hier in Wien! Die FPÖ hat uns mit ihren Anfechtungen vor dem Verfassungsgerichtshof zwei Wahlwiederholungen eingebrockt. Also Wahlkampf! Einmal für die Bundespräsidentenwahl und einmal im zweiten Bezirk, der Leopoldstadt. Das heißt nicht nur Wahlplakate und Infosstandeln auf den Straßen und Plätzen. Das heißt vor allem auch Panikmeldungen in sozialen Foren und den Boulevardmedien.
Seit Wochen lesen wir da fast täglich von Messerstechereien zwischen Asylbewerbern am Praterstern (eine Schnellbahnstation mitten im zweiten Bezirk), von versuchten Vergewaltigungen im Prater (im selben Bezirk) oder von den immensen Kosten, die uns die Flüchtlinge bereiten. Am Wahltag in der Leopoldstadt bringt die Kronenzeitung eine Doppelseite über den sogenannten „Wahnsinn bei der Auszahlung der Mindestsicherung“. Ein anoymer Beamter listet da ein ganze Reihe von Fällen auf, in denen Ausländer üppiges Sozialgeld beziehen, bis hin zum Asylanten, der nun seine Familie mit 15 Kindern nach Österreich holen und dann angeblich mindestens 6600€ Sozialhilfe kassieren soll. Alles recht dubios und Wasser auf die Mühlen der FPÖ. Sollte man meinen.
Doch zumindest die Wahlwiederholung in der Leopoldstadt war nicht ganz so erfolgreich wie von den rechten Recken geplant: das Ergebnis der Wahl im vergangenen Herbst hatte die drittplacierte FPÖ angefochten. Bei der Auszählung waren Stimmen verschwunden. Hieß es. Vielleicht wegen schlecht verklebter Wahlkuverts. Wer weiß das schon. Die FPÖ jedenfalls wollte mit ihren bewährten Themen Islam, Asyl und Sicherheit diesmal Erste werden und die seit Jahrzehnten im Bezirk regierende FPÖ und die Grünen deutlich hinter sich lassen. Als die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme flimmerten, gab es jedoch lange Gesichter bei FPÖ und SPÖ. Gegen jede Vorhersagen haben die Grünen mit respektablem Vorsprung gewonnen!! Noch vor Auszählung der Briefwahlstimmen und der Stimmen der EU-Bürgerinnen und -Bürger im Bezirk ist es klar, dass Uschi Lichtenegger, eine unprätentiöse Familienhelferin, die neue Bezirksvorsteherin in der Leopoldstadt wird. Für den überraschenden Grünerfolg mag es drei wesentliche Gründe geben.
Zuerst der Wandel. Die Leopoldstadt hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Ehemalige Bahnhofsgelände wurden bebaut. Die neuen Bewohner und Bewohnerinnen sind urban, multikulturell, weltoffen. Auch in vormaligen Problemvierteln hat es einen Bevölkerungswandel gegeben. Die Nähe zum Zentrum, die verbesserte Infrastruktur, mehr Radwege, der Trend weg vom Auto, all das zieht neue Menschen in den Bezirk und lässt andere abwandern. In die Flächenbezirke, wo das Auto noch heilig ist und die Mieten niedriger sind.
Die Grüne Basis. In Wien hat die Basis bei den Grünen noch immer hohe Bedeutung. Das heißt zum einen, dass es kaum möglich ist, in der Partei Beschlüsse gegen den ausdrücklichen Wunsch der Basis druchzubringen. Zum anderen bedeutet das aber auch, dass es viele Menschen gibt, die emsig laufen, wenn es darum geht, die eigene Wählerschaft zur Urne zu bringen. Bis zum letzten Tag. Die hohe Mobilisierungskraft der Grünen hat in Wien in den vergangenen Jahren einiges bewirkt.
Und dann die Verschwörungen. Die FPÖ ist gut im Verbreiten von Angstparolen. Muss man ihnen lassen. Noch besser allerdings sind sie beim Spinnen von Verschwörungstheorien. Die EU, die Ostküste (das meint jüdische Magnaten in New York und Washington), die Freimaurer, das Establishment, die Linken – alle haben sich verschworen. Gegen die FPÖ und gegen die Österreicher. Das deuten Strache und Hofer immer wieder an. Auch als wegen der schadhaften Briefwahlkuverts der Beschluss gefasst wurde, die Wiederholung der Bundespräsidentenwahl zu verschieben, witterten Strache und Hofer sofort ein abgekartetes Spiel.
Wenn du nun deiner Wählerschaft immer wieder erzählst, dass sich alle Welt gegen dich und sie verschworen hat, bleibt irgendwann auch ein Gefühl der Ohmacht zurück. Die Leute gehen nicht mehr wählen. Wozu auch. Das Ergebnis steht ja schon fest. Die anderen haben es sich schon gerichtet. Also ist die Wahlbeteiligung bei den Bezirkswahlen dramatisch gesunken. Auf rund 36 Prozent. Das hat den Grünen genützt, der FPÖ und auch der saturierten SPÖ geschadet. Deren Leute wissen nicht, weswegen sie wählen gehen sollten. Der FPÖ-Spitzenkandidat formuliert das so: „Es ist das Problem mit den Wahlkarten, mit den Wahlverschiebungen, da haben sich die Leut wahrscheinlich ned auskennt.“ Wahrscheinlich. Und wenn man sich ned auskennt, bleibt ma besser gleich zHaus. Dieser Ansatz könnte noch spannende Perspektiven für künftige Wahlen eröffnen.
Zu euphorisch allerdings, dass sich die Dumpfen und die Hasserfüllten nun in ihre Schneckenhäuser zurückziehen, sollten wir nicht sein. Dazu demnächst mehr. Doch vorerst wollen wir uns einmal freuen, dass es in dieser Stadt noch Orte gibt fürs Querdenken, für Weltoffenheit, für ein Miteinander.
Auf bald
Michael