vonDetlef Berentzen 21.10.2016

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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„Er kam unerwartet für die Wohngemeinschaft….“ Alle kamen sie unerwartet. Niemand hatte auf sie gewartet. Doch man hätte all die erwarten können, ja müssen, die ein mörderischer Krieg vor sich her treibt. Aber man tat es nicht. Also kommt auch Djadi unerwartet. Keine Eltern, keine Geschwister, voller Angst. Kommt mit den Flüchtlingen, den vielen. Und Peter Härtling entdeckt ihn, schreibt ihn auf. Der Roman liegt bei unserem Gespräch in Walldorf auf dem Tisch: „Djadi, Flüchtlingsjunge“.

Die Fernsehbilder von Kriegskindern und Kriegsmüttern haben mich in den letzten Jahren so durcheinander gebracht, dass mir oft die Tränen gekommen sind. Irgendeine alte Verletzung in mir ist aufgebrochen. Als ich dann dieses eine Foto von dem Kind, das tot am Ufer liegt, gesehen habe, ist die Unruhe in mir so groß geworden, dass ich anfing, Texte über Kinder, die unbegleitet herkommen, zu lesen. Es gibt ja Fachliteratur, eine Menge schon. Und mein Sohn, der Kinderpsychiater, hört ebenfalls viel von solchen Kindern. In einem der Bücher, ich weiß nicht mehr, welches es war, stand eine Fallbeschreibung und da tauchte der Name „Djadi“ auf – das war wie ein Zuruf: Das bin ich! Und dann hatte ich ihn, zusammen mit all den Bilderschichten, auch den eigenen Ängsten und Engen, die dazu gehören – eine innere Verwandtschaft.

In den meisten seiner vielen Romane war Peter Härtling unterwegs mit Randständigen, Außenseitern, Suchenden. Nichts daran hat sich geändert: Härtling ist bei sich geblieben. Und bei dem Kind, das er einst war, das ihn bis heute begleitet, aufmerksam sein lässt und hochsensibel. War Peter doch als Junge selbst auf der Flucht, verlor erst den Vater, dann die Mutter an die Folgen der Nazi-Barbarei. All die Anfänge seiner Kindheit gerieten, wie bei Djadi, wesentlich zu Angst und Schmerz, auch zu Wut.

Es sind Verletzungen, die längst vergessen sind und aufgearbeitet scheinen. Aber ich sehe selbst bei Menschen, die mir nah sind, dass das nie enden wird. Ich glaube, dass solche Anfangsängste und Anfangsverluste so heftig sind, dass sie wie ein rasendes Echo durch ein ganzes Leben gehen. Und diese Echos schmerzen, wenn sie laut werden, da hat mir der Djadi in jeder Hinsicht geholfen. Diese Echos haben mir auch geholfen, ihn zu verstehen, die Kinder hier zu verstehen. Wenn wir – das rate ich immer jenen, die sich aufregen über Fremde und Flüchtlinge – in die Augen dieser Kinder schauen, dann erblicken wir unser ganzes Elend, eigentlich unsere Unmenschlichkeit. Unsere Hilflosigkeit, auch unsere Dummheit, ja, unsere Erbärmlichkeit schlagen sich in diesen Kinderaugen nieder.

 

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Der Flüchtlingsjunge Djadi gerät an der Hand des Sozialarbeiters Jan in dessen Wohngemeinschaft. Und später ob der ihn plagenden Panikattacken unter’s Sofa. Wird sich anfreunden mit Dorothea, Detlef und Gisela, mit Kordula und vor allem mit dem alten Lehrer Wladimir. Denn da sind Nähe und Wärme. Und Hilfe. Und da sind viele Fragen. Nichts hier ist Djadi bekannt, er muss lernen, sie alle müssen lernen und sie tun es, lernen voneinander, auch „Von fremden Ländern und Menschen“, es gibt sogar Momente, die sind „Glückes genug“ und verhindern das „Fürchtenmachen“ – Peter Härtling hat Djadi beim Schreiben mit der Musik von Robert Schumann, wie er sagt, „eingefangen“. Es war die Gebrochenheit der „Kinderszenen“, die ihm den Jungen einmal mehr nahe gebracht hat. So nahe, dass er ihn im Buch nur einer dieser altbewährten „Wohngemeinschaften“ anvertrauen wollte, die ebenfalls noch nicht aufgegeben haben, deren Akteure noch in der Lage sind zu lernen, zu begreifen. Immer neugierig genug.

Das ist genau genommen eine Ausdrucksweise, die ich von einer zivilisierten Gesellschaft erwarte. Die Kombination von Intelligenz, Gemeinsamkeit und miteinander etwas machen, wobei die drei Paare in der Alten-WG ja höchst unterschiedlich sind, aber ihre Unterschiede zueinander bringen. Und da dachte ich mir: Gut, dass mit Wladimir einer da ist, der sozial interessiert ist – im Gegensatz zu den anderen, die nicht ganz so beteiligt sind – und dass ausgerechnet er auf einen dieser kleinen Menschen stößt. Dem Wladi muss doch klar sein: Das schaffen wir, wir Sechse, wir kriegen das hin!….und der kriegt das auch hin. Und das Kind erfährt auf diese Weise die unterschiedlichen Ausdrucksweisen unserer Zivilisation, ganz unterschiedliche. Djadi erfährt, dass es Steuerberater gibt, die unglaublich viel mit Zahlen umgehen, dass es Sozialarbeiter wie den Jan gibt, die helfen wollen, dass die Dorothee eine Psychologin ist, die mit kaputten Seelen umgeht, und dass es einen wie den Wladimir gibt, einen alten Mann, der sozusagen den Restbestand von Liebe verwaltet.

 

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Da gelingt etwas. Fremde vergeht, Begegnungen werden möglich, man erkennt sich. Nicht ohne Zweifel, aber da ist Bewegung, zärtlich genug, kein Ressentiment – Peter Härtling erzählt unspektakulär, mit Ruhe, Nähe und Gewissheit, mit einer engagierten Klarheit, die dieses kleine Buch und sein Personal leuchten macht. Insofern ist es ein dringend gebrauchtes Buch, denn es erzählt uns alle. Und es macht Mut, provoziert Hoffnung gegen all die eisgrauen Neinsager – nichts können wir zur Zeit besser gebrauchen. Genau deshalb erreichen Peter Härtling jede Menge Einladungen: Lesen Sie bei uns aus diesem Buch! Manchmal schafft er’s.

Da kam ein Brief von einem Dr. Zink und der fragte mich, ob ich nicht bei ihnen lesen wolle, er habe gehört, ich hätte ein Buch über Flüchtlinge geschrieben und sie würden doch mit Flüchtlingen zusammenarbeiten, hätten eine Gesellschaft gegründet, die gemeinsam mit Flüchtlingen eine Zeitung herausgibt, eine Monatszeitung mit dem Titel „Miteinander“ . Er würde sich riesig freuen, wenn ich kommen könnte. Ich habe dann zugesagt und etwas Wunderbares erlebt.
Ich habe erlebt, dass es in Südhessen eine kleine Stadt namens Heusenstamm gibt, die von einem türkischen Bürgermeister regiert wird, der auch zugegen war und dessen kleine Tochter mir am Klavier einen Schubert spielen wollte, aber nicht erwogen hat, dass der Schubert doch zu schwierig sein könnte und deshalb von ihrem Musiklehrer ersetzt wurde. Ich habe erlebt, dass eine junge Irakerin ein Gedicht in mehreren Sprachen, in Urdu, in Paschtun vortrug, auch in Englisch. Diese Gemeinschaft, die mich so willkommen hieß, führte mir vor, dass man zueinander kommen kann, selbst dann, wenn man nicht die Sprache des anderen spricht, aber trotzdem etwas miteinander macht, für das man Worte finden muss – dann findet sich auch Sprache.
Und so saßen sie dann alle da: die Heusenstammer, die Flüchtlinge und eine junge Syrerin, die nur ein paar Wochen vorher ein kleines Menschenkind auf die Welt gebracht hatte, eine kleine Syrerin, die vielleicht nie mehr bei sich Zuhause sein kann. Alle saßen da und hörten mir zu. Danach wurde ich fröhlich entlassen, tatsächlich fröhlich, denn ich war heilfroh, dass es solche Gemeinschaften gibt, solche Inseln! Und dass wir imstande sind, diese Inseln zu schaffen.

 

Djadi – Beltz&Gelberg

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