vonDetlef Berentzen 10.11.2016

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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„….what Ortega y Gasset predicted may have now happened: the triumph of the masses. (J. Atlas)

Ein kluger Kopf wie der der Literaturwissenschaftler Karl Heinz Bohrer hat es längst aufgeschrieben: „Wir werden Canettis ‚Masse und Macht‘ , glaube ich, alle zehn Jahre von neuem lesen müssen.“ Recht hat er: Die zehn Jahre sind längst vorbei. Und die Lektüre ist überfällig. Und nicht nur in Bezug auf Canettis „Hetzmassen“ und „Fluchtmassen“ und deren „designierte Feinde“. Es braucht mehr, um auch nur ansatzweise zu begreifen, warum sie – ob im Parlament oder vor der Frittenbude – nur noch so wenig gelten: Menschenrechte und Demokratie. Der Weg in die düstere Ignoranz war vorgezeichnet und sie geben die finalen Vollstrecker: Populisten und Neofaschisten, die das Ende von allem und jedem fordern, bekommen ebenso Applaus wie dumpf gebackene Morddrohungen gegen Pfarrer und Bürgermeister. Ohnehin gerät alles Fremde zum Gegner: Keinen Schritt weiter! Alles so wie es nie war! Sympathy for the devil!

Eine brutale Normalität, die kotzen macht. Und mich an Rudi erinnert, Rudolph Binion, den ich noch zu Lebzeiten in Boston traf: „Alles eine Frage von Sender und Empfänger!“, raunte damals der alte Naziforscher und meinte die jeweils aktuelle Stimmung der bedürftigen Masse, die ein politischer Führer wie Dumb („Please allow me to introduce myself/I’m a man of wealth and taste“) begierig aufnimmt und als Parolen wieder ausspeit, allemal dafür bejubelt und als Messias begrüsst – Oooh, we just feel comfortably numb! Eine mächtige und folgenreiche Inszenierung. Nichts Neues das. Aber es funktioniert – wie immer.

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Das Phänomen der Masse, die in ihr stattfindende Aufhebung von reflektierter Individualität und das damit verbundene special offer zur Regression in den Schoß des Messias haben immer wieder jede Menge Attraktion entwickelt: die Artikulation von lang aufgestauten Ängsten und Aggressionen im Schutz der Masse bietet bislang Verstummten („There is too much confusion, I can’t get no relief“) immense Entlastung.

Unsagbares wird sagbar, hasserfüllte Projektionen geraten zur akzeptierten Normalität – eine Art Entfesselung von bislang in Schach gehaltenen Gefühlen („Just call me Lucifer/’Cause I’m in need of some restraint“). Doch diese grandiosen Gefühle haben ihre Halbwertszeit. Jede Wette: Der Rausch vergeht. Weil wir ihn nicht zulassen. Auch für Mister Dumb und seine Komplizen gilt: „You can fool some people sometime. But you can’t fool all the people all the time!“

 

Sympathy for the devil

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