Die Demokratie atemlos! Ihre Gegner im Aufwind – man spricht wieder völkisch. Zum Kotzen! Doch all das war absehbar. Was nicht unbedingt hilft. Aber trotzdem: Debatten um die „Krise der Demokratie“, um das Zeitalter der „Postdemokratie“, um das „Ende der Demokratie“, die Kritik von Arroganz und Distanz, von fehlender Beteiligung, von fehlendem Respekt – all das fand bereits statt. Lange schon. Es gilt, eine Entwicklung zu erzählen. Sie im Zusammenhang – also ungetwittert – zu begreifen. Und (auch weiterhin) außerparlamentarisch gegen Dummheit, Rassismus und Arroganz aufzustehen. Mehr nicht. Auch nicht weniger.
Deutsche! Nach Jahren des Druckes wird Euch die Freiheit voll und unverkürzt. Ihr verdient sie, denn ihr habt sie muthig und beharrlich erstrebt. Sie wird euch nimmer entzogen, denn ihr werdet sie wissen zu wahren. Eure Vertreter werden das Verfassungswerk für Deutschland vollenden. Erwartet es mit Vertrauen. Der Bau will mit Ernst, mit Besonnenheit, mit echter Vaterlandsliebe geführt werden. Dann aber wird er dauern, fest wie Eure Berge.
Flammende Aufrufe, wie die des Jahres 1848 aus der ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche würden heute wohl kaum wirken. Das Vertrauen in die demokratischen „Vertreter“ und ihr „Verfassungswerk“ hat in den letzten Jahrhunderten immer wieder schwer gelitten. Dabei hatte alles so gut angefangen.
(Jacob Grimm) Das deutsche Volk ist ein Volk von Freien und deutscher Boden duldet keine Knechtschaft. Fremde Unfreie, die auf ihm verweilen, macht er frei!
Sätze, die durchaus in heutige Debatten passen würden. Jacob Grimm, einer der Gebrüder, hatte sie im Jahre 1848 aufgeschrieben und wollte sie zum ersten Artikel der Grundrechte machen, über die das Paulskirchenparlament wochenlang debattierte. Leider verfehlte sein Antrag knapp die Mehrheit, mit 192 gegen 205 Stimmen – Grimm konnte die gebildeten Bürger und Staatsbeamten der selbsternannten Nationalversammlung nicht überzeugen. Was ihm heute wohl ebensowenig gelingen würde. Obwohl es inzwischen ein „frei gewähltes“ Personal ist, das die Parlamente bevölkert. Nur sind es, folgt man den Messungen von Armin Schäfer (Politikwissenschaftler am Kölner „Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung“) immer weniger Bürger, die an der Wahl dieses Personals interessiert sind. Je geringer Bildung und Einkommen, zum Beispiel, desto weniger Interesse.
(Armin Schäfer) Der Hintergrund für die Unterschiede in der Wahlbeteiligung ist einfach, dass wir eine soziale Segregierung der Städte haben und dass die Lebenswelten in Großstädten extrem unterschiedlich sind – zwischen bürgerlichen Vororten und sozialen Brennpunkten. Und es wird für die Demokratie richtig bedenklich, wenn Politiker sagen, na ja, es lohnt sich nicht mehr, in diesen Stadtteilen besonders zu investieren, dort die Schulen zu verbessern, dort andere Wohnungen zu haben, weil dort eh keiner wählt. Das wird uns eh nicht gedankt, deswegen konzentrieren wir uns lieber auf Stadtteile, in denen was zu holen ist – im Sinne von Wählerstimmen. Ich kann nicht eindeutig belegen, dass das bereits jetzt ein massenhafter Trend ist. Aber den Eindruck gewinnt man natürlich einfach dadurch, wenn man durch die Städte geht und sieht, wie unterschiedlich die Lebensverhältnisse dort sind.
(„Schwabenstreich 2010“- Sprecher) Es geht um die Werte und Prinzipien einer demokratischen Kultur, die einseitig über den Haufen geworfen und handstreichartig entsorgt worden sind. (Chor) Es geht um Filz und Korruption! Wir, aufgeklärte und gut informierte Bürger eines politischen Gemeinwesen, haben keine Lust mehr, uns autoritär Entscheidungen aufzwingen zu lassen.
(Hubert Kleinert) Was bedeutet denn Demokratie? Demokratie bedeutet Selbstregierung des Volkes. Und Demokratie bedeutet Freiheit. Das sind die beiden zentralen Essentials. Wir unterstellen, dass das, was an Regelwerk durch die Politik in großräumigen Gesellschaften geleistet wird, letzten Endes auf das zurückgeht, was das Volk eigentlich auch will. Und wir unterstellen ferner, dass das Volk die Möglichkeit hat, über echte Alternativen zu entscheiden. Und natürlich steht das am Anfang der Demokratie. Dass das in Reinform so nie da gewesen ist, will ich überhaupt nicht bestreiten.
(Friedrich Ebert) Ihr Vertrauen wird mir die Kraft geben, immer der erste zu sein, wenn es gilt, Bekenntnis und Zeugnis abzulegen für den neuen Lebensgrundsatz des deutschen Volkes: für Freiheit, Recht und soziale Wohlfahrt.
(Hubert Kleinert) Wir haben dann den ersten richtigen demokratischen Versuch in der Weimarer Republik, der gescheitert ist am Mangel an demokratischer Gesinnung in der deutschen Gesellschaft. Die Ursachen dafür sind vielfältig, die haben mit dem Ersten Weltkrieg zu tun, die haben mit einer bestimmten autoritären Staatstradition in Deutschland zu tun, die haben zu tun mit einer bestimmten preußischen Tradition, die haben zu tun mit vielerlei Dingen. Die haben auch zu tun mit ökonomischen Problemen.
„Ihr Vertrauen wird mir die Kraft geben“ …. Friedrich Ebert im August 1919 bei seiner Vereidigung als Reichspräsident. Das war, meint Hubert Kleinert, der “erste richtige Versuch“ in Deutschland konsequent Demokratie zu wagen. Kleinert, Realo-Urgestein der Grünen in Hessen und Professor für Politikwissenschaften in Gießen, weiß sehr wohl, dass sich zwar bereits im Kaiserreich das „klassische Parteienspektrum“ politischer Grundorientierung sortiert hatte – Konservative, Christlich-Soziale, Liberale, Sozialisten. Aber erst die „Weimarer Republik“ begreift er als immens wichtigen, umfassenden Anfang, der in der völkischen Diktatur und mörderischen Barbarei des Nationalsozialismus endete.
(Hubert Kleinert) Richtig stabil und verankert im Bewußtsein der Menschen ist die Demokratie erst nach 1949 und das auch nicht sofort, sondern auf dem Hintergrund einer gedeihlichen wirtschaftlichen Entwicklung, die für die breite Masse das Gefühl hervorgebracht hat, so schlecht kann diese Ordnung nicht sein, wenn sie es uns ermöglicht, dass wir am Ende jeden Jahres doch eine nicht unbeträchtliche Lohnsteigerung in der Lohntüte haben und uns mehr leisten können als im Jahr zuvor. So einfach ist das ja gewesen.
(Willy Brandt) Dieser Vertrag konnte nur nach ernster Gewissenserforschung unterschieben werden. Wir haben uns nicht leichten Herzens hierzu entschieden. Zu sehr sind wir geprägt von Erinnerungen und gezeichnet von zerstörten Hoffnungen.
Willy Brandt, Bundeskanzler der sozialliberalen Koalition, im Jahre 1970 zu den „Warschauer Verträgen“. Er präsentiert sein Programm gegen Restaurierung und Revanchismus: Normalisierung zwischenstaatlicher Beziehungen, Verzicht auf Gebietsansprüche, Friedenspolitik. Dazu eine reformorientierte Innenpolitik, die unter einem wichtigen, heute wieder extrem aktuellen Motto steht: „Mehr Demokratie wagen!“ – in allen Breichen der Gesellschaft.
Nach der kalten Starre der Adenauerzeit und der belebenden Rebellion der 68er: ein neuer Anfang. Für Hubert Kleinert eine „Blütezeit“ der Demokratie mit einer starken Politisierung der Gesellschaft, hoher Wahlbeteiligung und klar differenzierten politischen Aussagen der Parteien. Damals konnte eindeutig gesagt werden, wer wofür stand. Und Politik wurde auch an der Basis begriffen. Man war in Kontakt, war informiert und auch engagiert – was gerade und erst recht für die Mitglieder der im Jahre 1980 neu gegründeten Alternativpartei „Die Grünen“ galt – einmal mehr Provokation und Rebellion.
Doch dann bei allen Parteien der Anpassungsprozeß an die neuen Verhältnisse – Stichworte: Infotainment und Mediendemokratie: „Wir amüsieren uns zu Tode“, schrieb Neil Postman bereits im Jahre 1985, statt uns qualifiziert und ernsthaft mit der gesellschaftlichen Realität auseinanderzusetzen. Und Postman hatte recht. Mit der Dramaturgie der Mediengesellschaft gerieten Demokratie und Politikbetrieb mit zunehmender Beschleunigung zum postmodernen Showbusiness: Anything goes! Auch bei Frau Merkel: „Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich sozial, und das macht die CDU aus!“
(Hubert Kleinert) Also was ich schon auch spüre, ist ein Bedürfnis nach Orientierung. Ein Bedürfnis nach Orientierung, dem die großen gesellschaftlichen Mächte, die es ja immer noch gibt, bisher viel zu wenig Rechnung tragen. Was es auch gibt, spürbar, bei relevanten Minderheiten, ist ein Bedürfnis nach mehr Ernsthaftigkeit – also dieser ganze mediale Klangteppich, der uns so gegenüber tritt, der besteht ja nur noch aus einer, ja, sich totlaufenden Unernsthaftigkeit. Man hat irgendwie das Gefühl, niemand nimmt irgendetwas wirklich ernst. Ich glaube schon, dass sich hier diese Anpassungstendenzen an die Talkshow-Demokratie bemerkbar machen und die Politiker zu wenig reflektieren, welche Gefahr für Seriösität letztlich darin besteht, wenn man allzu glatt und allzu geschmeidig öffentlich aufzutreten versucht.
(aus: Detlef Berentzen, Demokratie in der Krise, SWR 2010)