Education is the most powerful weapon which you can use to change the world.“
(Nelson Mandela, Ehrenpräsident United-World-College 1999-2014)
Julia Schetelig (Foto links) ist 17 Jahre alt. Lebt in Berlin. Eigentlich. Und sie schreibt. Ihr letztes Buch, das sie tapfer als „Kindle-Edition“ verbreitete“, trug den Titel „Engelsflügel“. Ihre eigenen Flügel haben sie inzwischen weit fort getragen: Nach Singapur.
Vor Monaten traf ich sie in Berlin während einer Lesung für junge Nachwuchskräfte. Und als sie mir damals erzählte, dass sie für zwei Jahre qua Stipendium an einem „United World College“ in Südostasien studieren wird, fand ich es keine schlechte Idee, sie um ein paar Notizen zu bitten. Um zu erfahren, was so läuft – in Singapur, am College und überhaupt. (db)
Und dann bin ich plötzlich wieder auf dem Balkon.
Ein Biobuch zu meiner rechten und eine Packung Instant-Noodles zu meiner Linken – mein Essensgeld habe ich für Taxis ausgegeben. Ich seufze und hole mir meine Wasserflasche, meine Zimmergenossin schläft noch. Das Wasser kühlt meine brennenden Lippen: Fast ein Jahr in Asien und ich vertrage immer noch kein Chili.
Ich schlage mein Biobuch auf: Nächste Woche sind finale Endjahresklausuren und ich bin fünf Tage hinter meinem Lernplan. Ganz zu schweigen von meinen Hausarbeiten…
Montagnacht sind wir in Singapur gelandet, nach knappen zwei Wochen „Initiative for Peace“ (IFP) in Kambodscha – hätte ich Erwartungen an den Trip gehabt, wären sie komplett übertroffen worden. Natürlich hätten wir uns eine funktionierende Toilette gewünscht, ein paar mehr Betten, um nicht auf dem Boden schlafen zu müssen, auch auf die Erkältung, die ich mir im Monsunregen beim Waten durch die Straßen eingefangen habe, hätte ich gern verzichtet, aber ich wollte ja unbedingt Frühstück und Klopapier kaufen. Ich hätte auch gerne ein bisschen mehr Privatsphäre gehabt, bin auch immer noch verwundert, dass wir bei unseren vielen Motorrad-Rikscha Fahrten nicht drauf gegangen sind und am Samstagmorgen eine ganze Chilischote zu essen, war definitiv keine gute Idee…
Aber jetzt, hier, vom sicheren Internat aus, war die Zeit in Kambodscha eine der authentischsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Unser Ziel: “to empower youth in Cambodia”, Jugendlichen das Selbstbewusstsein und Know-how zu geben, etwas in ihrer Community zu bewegen. Das haben wir versucht. Und zwar ziemlich auf uns allein gestellt.
Rückblickend kann ich es kaum glauben, dass wir rechtzeitig eine Crowdfunding Kampagne gelauncht, Sponsoren angeworben, das Geld irgendwann tatsächlich zusammen hatten, die Konferenz geplant, die TeilnehmerInnen ausgewählt, Materialien gekauft und eine Unterkunft und Essen organisiert hatten (tatsächlich ungefähr in der Reihenfolge). 110 Bewerbungen aus ganz Kambodscha wurden auf 30 reduziert, die dann für eine Woche in Phnom Penh, der Hauptstadt, zusammenkamen, um über Teamwork, Identität, Service und Frieden zu reden und zu lernen.
Mir bleiben die Erinnerungen: Abendliche Debatten über Bildung und Zukunftspläne, berührend ehrliche Gespräche mit vielen Sorgen, Geheimnissen und Tränen, Workshops mit Straßenkindern, deren dankbares Nicken und Lachen mein Herz erreichen, nächtliche Motorradfahrten durch ein pulsierendes Lichtermeer aus Armut und Reichtum… Die Fotos zeigen nur einen Teil von dem, was diese zehn Tage tatsächlich für einen Eindruck hinterlassen haben. Es gab so viele unerwartete Wendungen und doch lief alles so perfekt.
Nicht im Traum hätten wir daran gedacht am Ende der Woche von den Jugendlichen tatsächlich zu hören, dass sie das Gefühl hatten, dass IFP ihr Leben verändert hat. Doch ein 20-minütiges Dankeschön-Video, mit dem uns die Teilnehmer am letzten Abend überrascht haben, bestätigt unseren Traum: Man kann die Welt verändern! Nicht komplett. Aber Stück für Stück.
Wie soll ich mich da wieder Bio zuwenden? Es sind noch ungefähr 2 Monate Schule und danach Sommerferien. Ich lächle bei dem Gedanken an die Abenteuer, die mich erwarten. Und bis dahin lege ich auch gerne mal eine Atempause auf dem Balkon ein. Versuche meinen Schnupfen endlich loszuwerden. Und während ich mich in meine Schulaufgaben stürze, um nochmal zehn Tage Vollgas zu geben – träume ich von Momenten, die hoffentlich noch vor mir liegen.
Die „Initiative for Peace“ hat die TeilnehmerInnen verändert – aber auch ich als Teamer bin inspiriert, wachgerüttelt, frage mich, ob da draußen nicht noch mehr wartet als ein Job, ein Haus und eine gute Rente. Vielleicht muss ich einfach noch ein Weilchen länger mit Instant-Noodles leben! Aber das wäre es doch wert, oder?
Das ist ein sehr schöner Text, inhaltlich und – wenn ich das als langgedienter Dienstleistungsschreiber mal sagen darf – stilistisch. Mir gefällt Julias subjektiver Reportagestil, der mich als Leser mitnimmt in ihre Welt und ihren Blick auf die Welt, die ja auch die meine ist. Und ich bin ein wenig neidisch, weil sie 17 ist, und ich 73, und es so unglaublich viel wunderbares zu tun gibt in der Welt, dass ein Leben nicht ausreicht. So, jetzt soll sie aber endlich ihre Hausaufgaben machen und gegen Schnupfen hilft Nasin, gibt’s sicher auch in Singapur…
Herzlich
peter.