Angefangen hat alles im Jahre 1987 mit einer Zeitungsanzeige unserer Chorleiterin Anne Tübinger: „Gründung des Ernst Bloch Chors“. Außerdem hat sie Menschen, von denen sie dachte, die hätten Interesse, auch persönlich eingeladen. Wir haben uns dann alle am 13. Januar im Club Voltaire, auch ein traditionsreiches linkes Projekt in Tübingen, getroffen und der Club platzte tatsächlich aus allen Nähten, weil so viele Leute gekommen sind.
Nein, so ist das nicht, ich war auch im Chor, lang ist’s her, aber auch ich war einst erwählt und sang voller Inbrunst meinen Part im Messias vom Händel, vor allem aber über die „Freiheit, die ich meine“, die aber nirgendwo zu finden war, weil es bei den alten Nazilehrern meines Gymnasiums in der Regel, wie sagte es Bodo Morshäuser im Gespräch noch so schön, eigentlich immer nur „in die Fresse“ gab, Zwang also, immenser Druck und am Morgen geduckt in der Schulbank, tritt auf von rechts, der Lehrer: „Aufstehen! …Guten Morgen, Herr Lehrer. …Guten, Morgen Jungs! Setzen! Hefte rausholen!“ Schön grausig war’s, Heinrich Mann hat’s im „Untertan“ verewigt, schon lange vor meiner Zeit. Und war doch noch immer so.
Nur in der Musik, im Gesang, in meinem Chor, konnte die Vermutung entstehen, dass es ein Anderes gibt, das sich vielleicht nicht zeigt, aber es ist da und vielleicht trägt es den Namen Freiheit. Könnte so etwas wie Heimat sein, eine Heimat, die wir nicht kannten, aber erträumten, in unseren schwarzen langen Hosen und dem weißen Oberhemd. Jeden Freitag nachmittag, nach Schulsschluß, bei den Proben, träumte ich dieses Andere und wünschte heftig, es sollte werden. Keine Ahnung wie und wann und wo, alles irgendwie utopisch. Den Begriff kannte ich damals noch nicht, so etwas war nun wirklich kein Thema im Unterricht, aber später dann diese Sätze vom alten Ernst Bloch, da lebte er noch, saß vielleicht gerade mit Dutschke im Garten und rezitierte aus dem Geist der Utopie: „Ich bin. Wir sind. Das ist genug . Nun haben wir zu beginnen. In unsere Hände ist das Leben gegeben. Die Menschen wie die Welt tragen genug gute Zukunft.“ Diese Sätze habe ich nicht vergessen. Bis heute nicht.
Und stehe vor Jahren mitten in Tübingen, im Proberaum des „Ernst-Bloch-Chors“, und dort sind diese Sätze Teil eines Solo-Sprechgesangs, der in verschiedenen Tempi daherkommt, allemal unterlegt vom Chor, und wie das lebt, das will vorwärts und spricht zu mir! Eigentlich wollte ich nur Aufnahmen für mein Bloch-Feature machen, doch dann bin ich geblieben, habe mit dem Mikrofon zugehört, mich tragen lassen und da war wieder dies Ausnahmegefühl, das ich aus meinen frühen Tagen kannte: etwas will weiter und hier gab es Worte dafür und vor allem SängerInnen, die überzeugt vortrugen, was der Welt so sehr fehlt und was ihre Bewohner nur schwer artikulieren können, aber in der „Chorsprache“ sehr wohl, …raunte mir später einer der Sänger zu, Tom heisst er, zu und Chorleiterin Anne Tübinger nickte kräftig: „Musik ist einfach ein ganz tolles Transportmittel, mit dem man sich verbinden kann, das hilft dieses ‚Wir‘ zu spüren, das eine andere Welt schaffen will!“
Diesen Chor, der den Namen Bloch trägt, der singend Hoffnung, Zukunft und Utopien aufführt, auch konkret interveniert, vor Ort, bei Protesten sicht- und hörbar wird, dessen Chorgeist gibt es also schon seit 30 Jahren. An einem der nächsten Tage treffen sie sich, die Ehemaligen und die Jetzigen, all die Klangkörper feiern, singen, erinnern sich und tragen immer noch genug gute Zukunft und jede Menge Ideen für hoffnungsfrohe, auch internationale Programme in sich. Ich gratuliere. Ihr habt meine frühen Träume auf’s Trefflichste intoniert. Danke dafür.
Wenn wir zusammen gehen, geht mit uns ein schöner Tag
– Glückwunsch!