vonDetlef Berentzen 03.08.2017

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Überall Kräne, aber auch Liegestühle, wild gesät am schmalen Ufer der Spree, alle mit verschwitzten Körpern belegt: heute ist einer jener Tage, an denen Berlin weit nach Süden rutscht und erst auf der Höhe von Rom Halt macht, meinetwegen darf’s auch Neapel sein, auf alle Fälle liegt Berlins Mitte plötzlich tief im Süden und in den Gesichtern der Städter steht ein Abglanz jener feuchten Hitze zu lesen, die die Stadt ausbremst, sie endlich bewohnbar macht.

Unter den krausen Palmen der mit Reggae beschallten Strandsimulationen gibt es erste zärtliche Begegnungen, zweitens Bier und drittens laß mich liegen, faul sein, sie vergessen, einen Moment nur, diese alternativlose Republik, die ist anstrengend genug. Nicht einmal Erinnerung sollen sie heute sein, die Planlosen im alten Reichstag, nur weiter, weiter, wenigstens bis zum Bronze-Brecht am Schiffbauerdamm. Der sitzt auf seinem Stuhl und wartet, dass ihn endlich jemand abholt. Aber die Nachgeborenen sind viel zu träge. Es ist heiß heute.

Gerade röhrt ein Porsche vorbei, später hält Ecke Oranienburger noch ein blauer Jaguar. Lässig steigt ein Lacoste-Hemd aus, holt sich eine Currywurst und will mit Karte zahlen. Das Publikum applaudiert. Inzwischen hat sich der Brecht zu uns auf den Weg gemacht, läuft mit und bestellt im Café Orange eine eiskalte Cola. Keiner wundert sich. Bertolt kommt öfter, abends stehen die Huren vor der Tür, aber jetzt nicht. Also weiter, zu Klärchen, in die Auguststraße, hier sind die hölzernen Tische weißgedeckt. Darauf die obligatorische Pizza „Clara“ und eine große Karaffe Vino Rosso. Unter dem Tisch nebenan sucht ein schnaufender Mops nach verwertbarem Abfall.

Zum Dessert stehen wir auf der Museumsinsel, schon wieder jede Menge Liegestühle im Angebot, aber auch echte Wiener mit Düsseldorfer Löwensenf, dazu passend ein kühler Pinot und das obligatorische Sommerkino. Immerhin. Der arme B.B. platziert sich mit qualmender Zigarre vor der weißen Leinwand, hängt tief in seinem blauweißgestreiften Regiestuhl, niemand kennt ihn, aber die fabelhafte Welt der Amélie, die kennen sie alle, doch die läuft noch nicht, später vielleicht.

Nicht weit entfernt, am Spreeufer, gleich hinter dem protzigen Hohenzollerndom, hocken zwei Dreadlocks auf nackten Sohlen mit ihren Saxophonen. Der Sound steigt zu Kopf. Wir schweigen. Über uns rattert die S-Bahn und ein paar Meter weiter schon wieder Liegestühle. Keiner will mehr stehen, es ist viel zu heiß. Alle wollen liegen. Wir setzen uns, winken den Touristen auf ihren Ausflugsdampfern zu. Wir sind freundlich heute. Es ist einer von diesen Tagen.

Pink Floyd

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