Alle reden vom „Deutschen Herbst“ des Jahres 1977. Reden wir von Italien. Dort waren vor vierzig Jahren die „Non Garantiti“ mit Unterstützung der „Stadtindianer“ (Indiani Metropolitani) auf der Suche. Nach irgendeinem Ausgang. Verzweifelt. Verrückt. Poetisch. Gewalttätig. Verwirrt. Verirrt. Und dann Schluß.
Lange haben wir um den Totem unseres lichten Wahnsinns getanzt (…) Die Zeit der Sonne und der tausend Farben ist angebrochen. Es ist die Zeit, daß das Volk der Menschen in die grünen Täler hinabsteigt, um sich die Welt zurückzuholen, die ihm gehört. Die Truppen der Bleichgesichter mit ihren blauen Jacken haben all das zerstört, was einst Leben war, sie haben mit Stahl und Beton den Atem der Natur erstickt. Sie haben eine Wüste des Todes geschaffen und haben sie ‚Fortschritt‘ genannt. (Manifest der „Indiani Metropolitani“, Lotta Continua, Rom, März 1977)
Die Bewegung von 1977 wird nicht verständlich, wenn man sie nicht vor dem Hintergrund des Bewegungszyklus betrachtet, der in Italien mit der Studentenbewegung des Jahres 1968 begonnen hatte und mit dem Paukenschlag des Jahres 1977 ein Ende finden sollte.(…) Im Frühjahr 1977 wagten zehntausende Jugendliche in Rom und in ganz Italien einen kurzen, radikalen Versuch , die bestehenden Verhältnisse aus den Angeln zu heben. Ein Versuch, der unter dem Druck der Repression und der eskalierenden internen Konflikte in eine Phase des Rückzugs und der Vereinzelung mündete. Die Bewegung von 1977 kann als Endpunkt des italienischen Bewegungszyklus seit 1968 begriffen werden. (Mathias Heigl, „Rom in Aufruhr – Soziale Bewegungen im Italien der 1970er-Jahre“, transcript, Bielefeld 2015)
Achtung, hier ist immer noch Radio Alice, wir haben die Polizei vor der Tür, mit Kugelwesten und gezogenen Pistolen und wir warten jetzt auf die Anwälte...(Last Words von Radio Alice, Bologna, März 1977, aus: „Indianer und P 38“, Trikont, München 1978)
Großer Rundschlag gegen die Basispresse. Auf Initiative des Bologneser Untersuchungsrichters Catalanotti finden in Bologna, Mailand, Verona, Rom, Mestre zahllose Durchsuchungen in linken Buchläden, Redaktionen, Verlagen etc. statt. In Verona wird der Verleger Bertani verhaftet, der gerade ein Buch über die Märzrevolten in Bologna vorbereitet. („Chronik“, Bologna 1977)
Demonstration zum dritten Jahrestag des geglückten Referendums für die Ehescheidung auf der Piazza Navona. Trotz des noch bestehenden absoluten Demonstrationsverbots in Rom, hoffen die Veranstalter auf das Nichteingreifen der Polizei. Die Polizei schreitet bereits vor Beginn der Veranstaltung ein, indem sie den ganzen Platz abriegelt und die schon anwesenden Veranstalter zusammenknüppelt. Es kommt zu Straßenschlachten, in deren Verlauf die Polizei Schußwaffen einsetzt. Eine Gruppe von Demonstranten wird, als sie in der Nähe einer Polizeiabsperrung vorbeizieht, von der Polizei angegriffen. Während das Grüppchen panisch flieht, wird ihnen hinterher geschossen. Die 19jährige Giorgina Masi wird tödlich getroffen, mehrere Personen werden angeschossen. („Chronik“, Rom, Mai 1977)
Das Niveau der Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt erreicht einen neuen tragischen Höhepunkt: Im Verlauf einer Demonstration gegen die Verhaftung der Mailänder Anwälte Spazzali und Cappeli, greift eine Gruppe bewaffneter Jugendlicher die Polizei an. Ein Polizist (Antonio Custra) wird durch einen Pistolenschuß getötet. Der Vorfall löst innerhalb der Mailänder Linken wütende Reaktionen aus. Genossen der „Autonomia Operaia“ (AO) werden krankenhausreif geschlagen. Die Gruppen der AO selbst distanzieren sich von der Aktion. (Chronik, Milano, Mai 1977)
Seit Februar dieses Jahres ist Italien von der Revolte der proletarischen Jugendlichen, der Arbeitslosen und Studenten erschüttert, von denen also, die vom historischen Kompromiss und bei institutionellen Machtspielchen vergessen wurden. Sie haben auf die Politik der Austerität und der Opfer mit der Besetzung der Universitäten, mit Massendemonstrationen, mit dem Kampf gegen die Schwarzarbeit, mit wilden Streiks, Sabotage und Absentismus in den Fabriken geantwortet und dabei all die beissende Ironie und Kreativität derer eingesetzt, die nichts mehr zu verlieren haben:
„Bringt Opfer! Bringt Opfer!“
„Das christdemokratische Räuberpack ist unschuldig, wir sind die wahren Verbrecher!“
„Mehr Kirchen, weniger Wohnungen!“.
Die Antwort von Polizei, DC und PCI war mehr als eindeutig: absolutes Demonstrationsverbot in Rom, permanenter Belagerungszustand in Bologna, Panzerfahrzeuge auf den Straßen, Schüsse in die Menge.
(…) Die Unterzeichner fordern die sofortige Freilassung aller verhafteten Genossen, die Beendigung der politischen Verfolgungen und der Diffamierungskampagne gegenüber der linken Bewegung. ( Auszug aus einem Manifest von Sartre, Foucault, Deleuze, Guillerme u.a., Lotta Continua, 5. Juli 1977)
Riprendiamoci la vita! – Nehmen wir uns das Leben zurück! (Graffito, Rom 1977)