„Nein, Ihr Verdränger, Ihr Vergeßlichen! Nein, ihr von Erfolgen blankgeriebenen Egoisten! …Wir gäben denen nach, die entweder fett in sich selber ruhn oder die mordlustig darauf warten, uns von Rechts wegen wegzuräumen!“ (Peter Härtling zur geplanten Asylrechtsänderung, 1992)
Die sich abzeichnende Völkerwanderung aus Wirtschaftsnot muß mit wirklicher Staatskunst, gezielter Hilfe im Ausland, Zuwanderungsregelungen und angewandter Verwaltungspolitik kanalisiert werden.
Ein panikartiger Zugriff auf Grundrechte löst kein Problem, sondern gerät nur zu leicht zum ersten Schritt einer fortgreifenden Aushöhlung unserer Verfassung und – nicht weniger gefährlich – legitimiert wie ein Irrwitz den Schlachtruf der neuen Rechtsbewegung „Deutschland den Deutschen“ konstitutionell, statt sie politisch zu bekämpfen. („Hamburger Manifest“, Doris Dörrie, Helmut Dietl, Ralph Giordano, Jurek Becker u.a., 7. Oktober 1992)
Als „politische Ungeheuerlichkeit“ hat der Sprecher der Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl, Leuninger, den von Bundeskanzler Kohl im Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Asylbewerbern gebrauchten Begriff des „Staatsnotstandes“ bezeichnet. Wenn von einem Staatsnotstand die Rede sein könne, dann nur dort, wo der Rechtsstaat durch Rassismus und Intoleranz gefährdet sei, sagte Leuninger in Bonn. Mit Kohls Aussage „eskaliere“ die Asyl-Diskussion ins „Wahnhafte“. (ND, 29.10. 92)
Für den uneingeschränkten Erhalt des Grundrechts auf politisches Asyl setzt sich eine Berliner Initiative ein, die von einer Gruppe von Studenten, Politologen und Journalisten jetzt ins Leben gerufen wurde. Zahlreiche bekannte Persönlichkeiten, darunter die Kabarettisten Martin Buchholz und Dieter Hildebrandt, die Schriftstellerin Freya Klier, die stellvertretende SPD-Landeschefin Monika Buttgereit und taz- Chefredakteur Michael Sontheimer, gehören zu den Erstunterzeichnern des „Berliner Aufrufs“, der gegen die Abschaffung des Artikels 16 im Grundgesetz mobil machen will. (taz 6.11. 92)
Der Tod ist ein Meister aus Deutschland,
ja, gerade sagt Ute Lemper es wieder
auf der Rock nach Rechts Bühne, Fft/Main.
Der Tod ist ein Meister von hier, ja, ja
erwacht grad aus seiner Totalanästhesie,
hat endlich ausgeschlafen der Bursche,
und wir werden sagen können,
wir sind dabei gewesen, (…)
(Klaus Theweleit , taz, 4.1. 1993)
Seit November 1992 haben in der Bundesrepublik über drei Millionen Menschen gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und rechtsradikale Gewaltanschläge demonstriert – meist an den politischen Parteien vorbei. Allein an den Lichterketten von München und Hamburg beteiligten sich jeweils über 400 000 Menschen. Fast ein Drittel der Bevölkerung in beiden Städten folgte dem Aufruf von Journalisten und kleinen Bürgerinitiativen. Kein noch so großes Parteienbündnis hätte solche Massen mobilisieren können. (ZEIT, 29. Januar 1993)
1985 verstieg sich CSU-Chef Strauß zu der Aussage, dass ohne eine Änderung des Grundrechtes auf Asyl Deutschland „bald die Kanaken im Land“ haben werde. 1986 forcierten CDU und CSU gezielt die Debatten über die Asylpolitik und kürten diese zum wichtigsten Wahlkampfthema bei den anstehenden Abstimmungen in Bayern sowie im Bund. „Um die Stimmung im Volk rechtzeitig zu den Wahlen anzuheizen, helfen Unionspolitiker mit schreckenerregenden Zahlen nach“, schrieb „Der Spiegel“ damals. Argumentationshilfe habe ein „Horror-Papier“ aus der CDU/CSU-Fraktion geliefert: „Als – nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte – mögliche Asylberechtigte“, heißt es darin, kämen Afrikaner und Asiaten „in der Größenordnung von 50 Mio“ in Betracht; jeder zweite Einwohner Westdeutschlands könnte danach eines Tages ein „Asylant“ sein. „Selten“, kommentierte damals die „Stuttgarter Zeitung“, habe „ein Thema die Bürger offenbar so aufgewühlt wie die Diskussion um das Asyl.“ Aus vielen Leserbriefen breche, resümiert das Blatt, nun blanker Hass hervor: Man solle die „Schweine, Herumtreiber, Faulenzer, in “Arbeitslager sperren oder vergasen“. Der verbale Hass tobte sich vor der digitalen Revolution in den Leserbriefspalten aus, heute potenziert er sich in den (a)sozialen Netzwerken.
Im Juni 1992 fanden es 60 Prozent der Ostdeutschen laut ZDF-Politbarometer nicht in Ordnung, dass so viele Ausländer/innen in Deutschland lebten. Nach einer Untersuchung des Berliner Instituts für Sozialwissenschaftliche Studien wollten 85 Prozent der Ostdeutschen keine Türk/innen mehr ins Land lassen. 82 Prozent hegen Aversionen gegen Afrikaner/innen oder Asiat/innen. Letztendlich hat diese massive Ablehnung Wirkung gezeigt: Bis heute leben fast 97 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik. (Heinrich Böll Stiftung:“Schlagworte und Brandsätze“, Berlin 2015)