vonDetlef Berentzen 16.10.2017

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Von wegen, mein Lieber,

 

 
das war nun wirklich nicht der „Große Rechtsruck“, von dem jetzt in den Medien geredet wird! Folgende Rechnung: ÖVP und FPÖ haben gemeinsam rund 13% dazugewonnen – sofern die Hochrechnungen stimmen, denn das endgültige Wahlergebnis mit den Wahlkarten gibt’s erst am Donnerstag. Aber weiter: Bei der letzten Nationalratswahl haben das „Team Stronach“ des Milliardärs Frank Stronach und das BZÖ des verstorbenen Jörg Haider gemeinsam etwas mehr als 9% der Stimmen erreicht. Die beiden Rechtsparteien haben sich mittlerweile aufgelöst. Es gibt sie schlicht nicht mehr. Die Stimmen waren also günstig zu haben und gingen wohl an ÖVP und FPÖ. Bleiben noch 4%. Deren Herkunft findet sich schnell. Seit Jahren pendeln Unzufriedene zwischen SPÖ und FPÖ hin und her. Ähnliches gilt für ÖVP und FPÖ. Die drei großen Parteien sind einander recht ähnlich. Die FPÖ bemüht sich zeitweilig um gemäßigte Töne, dann klingt sie wie die CSU. Was ihr fehlt, ist deren Nähe zur Industrie. Die ÖVP hat mit ihrem neuen Messias wahrscheinlich den Weg zurück ins Kanzleramt geschafft. Diesem Ziel wurde im letzten halben Jahr viel untergeordnet. Auch die mächtigen Bünde (ständische Teilorganisationen) und Landesfürsten haben sich brav in den Chor der Kurz-Adoranten eingefügt.

 

 
Was wird nun geschehen? Nun, ÖVP und FPÖ müssen miteinander regieren. SPÖ und ÖVP schaffen schon aus persönlichen Ressentiments vieler Beteiligter keine gemeinsame Regierung mehr. SPÖ und FPÖ ist vielleicht als Koalition im kleinen Burgenland möglich, aber nicht dann, wenn die große Wiener SPÖ etwas mitzureden hat. Also haben ÖVP und FPÖ nur einander. Das wird spannend. Denn die FPÖ ist europaskeptisch und würde Österreich gern in den Kreis der Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) einreihen. Sebastian Kurz lässt Sympathien für einen solchen Weg zwar anklingen, aber die Industriellen, die viel Geld in die ÖVP investiert haben, wollen Geschäfte machen. Aber ein Orbán-Kaczinsky-Kurs ist Gift für die exportabhängige Wirtschaft. Worauf werden sich die beiden nun also einigen? Bei der Zuwanderung und bei den Flüchtlingen wird eine Politik der harten Worte und wohl auch Taten verfolgt werden. Das kostet nicht allzu viel und bringt den üblichen Applaus in den Boulevard-Medien. Bei der Zuwanderung aus der EU wird’s schwieriger. Zu eng ist Österreichs Wirtschaft mit der EU verbunden. Da gibt’s keine Spielräume! Theaterdonner ja, viel mehr wird nicht sein. Aber immerhin kann man wieder auf das böse Brüssel schimpfen.

 

 
Auf welchen Politikfeldern kommen dann die großen Veränderungen? Beide, FPÖ und ÖVP, haben vollmundig versprochen, Steuern zu senken. Das werden sie tun. Bei den meisten Menschen wird davon nicht viel ankommen, weil sie gar nicht so viel Steuern zahlen. Im Gegenzug wird das soziale Netz ausgedünnt, weil sich ja Leistung wieder lohnen soll, frei nach dem Motto: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Also werden Langzeitarbeitslose zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen werden. Klingt gut, wird aber wenig bringen. Denn dazu musst du die Leute verwalten und organisieren und die passenden Jobs finden. Und die FPÖ-Klientel wird sich freuen, wenn sie auf einmal in den Dörfern am Land die Straßen fegen soll. Ansonsten wird künftig mehr selber bezahlt werden müssen. Das Leben wird für die Masse teurer werden.

 

 

Was noch? Der Arbeitsmarkt wird sich deutlich verändern. Kollektivverträge (in Deutschland „Flächentarifverträge“) kann man auf Betriebsvereinbarungen umstellen. Das freut die Unternehmer und Unternehmerinnen. Auch die Arbeitszeitflexiblisierung wird wohl weiter forciert. Überstunden gibt’s dann keine mehr, weil ja flexibel. Die Wirtschaftsprogramme von ÖVP und FPÖ sind einander sehr ähnlich. Die vielen lohnabhängig Werktätigen, die diese Parteien wählen, lesen aber deren Programme nicht. Wie werden sehen, wie lange sie sich dann im neugewählten anderen Österreich wohl fühlen werden. Vom geplanten Ausbau des Überwachungsstaates will ich da noch gar nicht reden.

 

Und was tut sich auf andren Seite des politischen Bogens? Die SPÖ hat in Wien gut abgeschnitten. Sie hat sich viele Stimmen von den Grünen geholt und wird von Wien aus versuchen, ihr Gegenmodell zu türkis und blau zu entwerfen. Das kann schon gelingen, wenn die Leute feststellen, dass mit Kurz und Strache weder Milch noch Honig fließen und Fleiß keineswegs mehr belohnt wird als vorher. Die Grünen indes haben sich entweder nach über drei Jahrzehnten aus dem Nationalrat verabschiedet oder sind gerade noch hineingekommen. Das wissen wir am Donnerstagabend. Woher kommt der dramatische Absturz? Nun, dafür gibt es mehrere Gründe. Der Rausschmiss der eigenen Jugend, die Vertreibung von Peter Pilz, vor allem aber die seit geraumer Weile gähnende Leere bei den Inhalten. Vieles ist dabei in Wien ruiniert worden. Das ist aus zwei Gründen besonders bedeutsam. Zum einen können die Grünen ohne einen starken Rückhalt in Wien nicht weit kommen. Sie sind keine Partei der Ackerscholle, sie brauchen das urbane Soziotop. Zum anderen ist der Absturz in Wien innerhalb kurzer Zeit passiert. Noch vor einem Jahr wurde bei einer Nachwahl ein Bezirk grün umgefärbt und Alexander van der Bellen hat seinen Wahlerfolg zu einem Gutteil den Stimmen aus Wien zu verdanken.

 

 
Doch in Wien ist in der letzten Zeit vieles schief gelaufen. Es hat sich in den vergangenen Jahren speziell in Wien bei den Grünen eine Führungsriege entwickelt, die sich mehr mit der Professionalisierung ihres Auftritts und sich selbst als tatsächlich mit politischen Inhalten beschäftigt hat. Irgendwann merken die Leute das. Grün wird gewählt, weil die Menschen sich von den Grünen Vielfalt, kontroverse Diskussionen, Entwürfe für ein besseres Leben und mehr Miteinander erwarten. Wenn sie dann feststellen, dass die Grünen blöderweise kaum anders als die anderen sind und der Unterschied nur mehr in der Zahl der geforderten Radständer besteht, dann gibt es wenig Gründe Grün zu wählen. Die Grün-Defizite sind im heurigen Jahr wiederholt recht deutlich zutage getreten. Die Liste ist lang.

 

 

Da sind zum Beispiel die Bauspekulation, die unzureichende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bei Großprojekten, die nicht eingelösten Versprechen im Umweltbereich, die Unterstützung der Boulvardmedien durch üppige Inseratenaufträge (mit Steuergeld) seitens der Stadträtin. Sowas rächt sich. Ganz besonders in den grünaffinen Innenbezirken Wiens gibt es nun die größten Verluste, im Schnitt um die 15%. Die bunte Liste von Peter Pilz hat die Grünen in Wien überall überholt. Bei Pilz und seiner Liste wissen die Menschen, was sie bekommen. Kontrolle der Mächtigen, Aufdecken von Korruption. Bei den Grünen war wohl nicht mehr so klar, wofür sie stehen. Die Grün-Stadträtin Vassilakou (ja, die mit dem Spekulanten-Turm), sagt nun, sie mache sich „Sorgen um Wien“ und wolle „Wien schützen“. Ob das dafür reichen wird, die rebellische Wiener Basis sowie die Wähler und Wählerinnen zurückzuholen, ist eher fraglich. Frau V. hat schon vor der letzten Wienwahl angekündigt, bei Verlusten zurückzutreten. Die Verluste kamen, ihr Rücktritt nicht. Auch jetzt klingt das mehr nach Augen-zu-und-durch-Politik. Wenn sich da nichts ändert, dann werden Pilz und seine Leute die Konkursmasse der Grünen Wien übernehmen. Ob einem das passt oder nicht, viel Zeit bleibt dieser vormals so innovativen und bunten Stadtpartei nicht mehr.

 

 

Auf bald
Michael

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https://blogs.taz.de/spurensuche/2017/10/16/wiener-korrespondenzen-30/

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kommentare

  • Wonderful assessment of a deeply troubled Austria. Choosing a 31 year old is a strange cry for help from anyone – untested leadership is always a gamble: sometimes you get an Obama, other times you get a Trump and, also, sometimes you get a politician. Is one better than the others?

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