„Heimkunft“ im Theater Lindenhof. Ein Abend für Peter Härtling war’s, am letzten Wochenende – post mortem. Längst weilt er in einem größeren Gedächtnis. Seit dem 10. Juli schon, ich kann’s kaum glauben. Peter Härtling fehlt uns. Sein Lachen, seine Wärme, seine Neugier, seine Streitlust, sein Cordjackett. Er war doch oft hier im Melchinger Scheunenquartier. Las, debattierte, feierte bis er die Albwellen wie eine Flut in den Gliedern spürte. Seine Landschaft war das: Die Alb, dies „quer gebaute Riff“ – auch Tübingen, auch Stadt, auch Turm. Aber er geht uns nicht verloren. Seine Bilder bleiben. Auch seine Sätze. Man muss sie nur lesen, hören, ihnen nachspüren. Immer wieder neu.
Also haben wir (Bernhard Hurm, Uwe Zellmer und ich) uns auf die Bühne gehockt und am älbischen Kommunardentisch für’s Publikum s e i n en „Hölderlin“ gelesen, dazu Fritzens Gedichte, seine Briefe und Dietlinde Ellsässer (s. Foto) hat sie gesungen: Härtlings viel zu wenig beachtete Lyrik, Frank Schlichter am Klavier. Viele haben zugehört, er war voll, der kleine Theatersaal. Eine wunderbare Präsenz, die uns alle tröstete.
Und wieso ausgerechnet Hölderlin? In Melchingen? Peter Härtling hat den Dichter in den Achtzigern nach Melchingen gebracht. Da hatte er ihn längst notiert – 1976 erschien sein Roman. Und er kannte den Fritz schon lang zuvor. Hölderlin war seit den frühen Nürtinger Tagen immer bei ihm gewesen. Auch in Köln, Berlin, Frankfurt und überhaupt: Ich schaue gerade nach Walldorf, sehe Härtling auf der Terrasse und da sitzt der Hölderlin still im Gartenwinkel auf einer Holzbank, kaut sein Brot mit Zwiebelfleisch und hat schon wieder dieses Turmgefühl: „Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen, mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden… “
Es ist soweit. Hölderlin will jetzt endlich aufgeschrieben werden, stellt sich hinter seinen Härtling, schaut auf die Skizze, die der gerade zeichnet, und begreift den Weg, den er im Roman mit ihm gehen wird: Von der Kindheit über Frankfurt und Bordeaux bis hin zu den Besuchern im Turm. Jetzt nur noch ein Gläschen Württemberger, den für die Kenner und dann kann es losgehen. So entsteht Großes, etwas, das bleibt.
Später wird Karl Krolow in seiner Kritik schreiben, dass in Härtlings Buch das Leben Hölderlins „nachgeatmet“ worden sei. Und nur wenige Jahre darauf werden die kollektiven Theaterfreaks ihn deshalb auf die Alb laden. Eine Lesung in Melchingen. Unter den Linden. Von feuertrunkenen Theaterleuten umringt, die mehr von ihm wissen wollen. Die den Hölderlin aus seinem Buch herauslesen, später mit „Fritz“ durch Tübingen stürmen. Gegenüber vom Turm bauen sie ein Gerüst in den Neckar. Schwankend darauf Bernhard Hurm, der Hölderlin erzählt, zitiert. Unvergesslich! Das hat Peter Härtling immer wieder gesagt und war jedes Mal schwer berührt, wenn Bernhard den Lauffener Dichter – genau wie am letzten Wochenende – vortrug: Genial genug.
Ich kehre zurück, höre Dietlinde vom „Rand“ singen, Uwe sanft aus den Briefen lesen und spüre noch einmal wie mir bei der Lesung Tränen in die Augen steigen, als ich mit Härtlings letzten Zeilen ende, die er denen widmet, die den verwirrten Hölderlin, den Randständigen, den Fremdgewordenen, so lange und liebevoll im Turm am Neckar pflegten: „Man kann nicht allen Figuren zugeneigt sein, die man beschreibt. Diese beiden, Ernst und Lotte Zimmer, habe ich, schreibend, zärtlich geliebt.“
Fotos: Gaby Werner