vonDetlef Berentzen 29.11.2017

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Keinen Krach, keine Ohrfeigen, keine Szenen. Sondern: „Sie sind für die Nazis?“ Stehn lassen. Ruhig stehen lassen. Nur so. (Kurt Tucholsky, 1933)

Sie erhalten nirgendwo so viel Aufruhr und Dissens für jeden gespendeten Euro wie bei uns. (Zentrum für Politische Schönheit, 2017)

 

Nach der Mahnmal-Aktion gegen den AfD-Politiker Björn H. in dessen Thüringer Wohnort Bornhagen ermittelt die Staatsanwaltschaft Mühlhausen gegen das Künstlerkollektiv „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS). Es bestehe der Anfangsverdacht auf versuchte Nötigung, sagte Behördensprecher Dirk Germerodt am Montag. Es gehe um die ZPS-Aufforderung an den Politiker, vor dem Holocaust-Denkmal in Berlin oder vor dem Nachbau auf einem Nachbargrundstück auf Knien um Vergebung für die deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs zu bitten – anderenfalls würden in der Vergangenheit über H. gesammelte Informationen veröffentlicht. Der Staatsanwaltschaft liegt eine Strafanzeige gegen die ZPS-Aktivisten vor. Diese wurde nicht von H. erstattet, wie Germerodt sagte. Der Richter und AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier verkündete derweil auf seiner Facebook-Seite, das ZPS selbst angezeigt zu haben, um „H.’s Familie zu schützen“. Gleichzeitig habe er eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt um zu erfragen, ob die Organisation mit Steuergeldern gefördert werde. (Tagesspiegel)

Den AfD-Politiker Björn H. zum Beispiel kann man vieles nennen: Rechtsradikaler, Knopfaugen-Goebbels oder Steckdosenbefruchter (die schönste aller Grundschulbeleidigungen). Man kann ihn und seine Positionen bekämpfen. Als mündiger Demokrat hat man sogar eine Pflicht (das ist der Preis für Bürgerrechte), gegen H. Stellung zu beziehen. Am besten benutzt man dafür Argumente. Aber ihn dazu zu zwingen, mit einem Kniefall vor seinem persönlichen Stelenfeld „für die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg aufrichtig um Vergebung zu bitten“, ist vielleicht, aus der Ferne betrachtet, semesterferienlustig, aber am Ende eben Erpressung und auch absurd, wenn man daran denkt, dass H. 1972 geboren ist. Noch dazu hat das „Zentrum für Politische Schönheit“, das sich diese Aktion ausdachte, über Monate H.’s Familie ausgespäht. Was zwar bestimmt interessant ist, aber wohl den Straftatbestand der Nötigung erfüllt. Da kann sich das „Zentrum für Politische Schönheit“ noch so sehr auf seine edlen Absichten berufen: Das tun am Ende auch die Taliban, Wladimir Putin oder Heidi Klum. (Die Welt)

Nun, sagt der Vermieter, habe er auch eine Anzeige wegen Sachbeschädigung gestellt. „Das Grundstück wurde verwüstet.“ Ein alter Flieder- und ein Schneeballbaum seien umgemacht, von einem Kirschbaum unten die Äste entfernt und ein Loch für Kabel in ein Fenster gebohrt worden, erklärt er. Mit den Nachbarn im Dorf habe es keine Probleme gegeben, doch nun würden sie ihm die Schuld zuschieben, dass alles so gekommen sei – auch wenn das die Leute so nicht sagen würden, am Verhalten merke er es. „Ich bin einfach darauf reingefallen, das wurde verbrecherisch vorbereitet“, sagt der Vermieter und ergänzt, dass die anderen Mieter nicht gewusst hätten, was unter den Planen im Garten entsteht. Eine Fete solle dort gefeiert werden, hätte es geheißen. (Thüringer Allgemeine)

Der Streit um das Holocaust-Mahnmal, das im Nachbargarten von Björn H. steht, erreicht eine neue Eskalationsstufe: Die Aktionskünstler erhielten offenbar hundere Morddrohungen. Nicht mal beim Satiremagazin „Titanic“ erinnert man sich an Reaktionen ähnlichen Ausmaßes. (…) Das Magazin, das etliche gerichtliche Auseinandersetzungen wegen Grenzgängen an der publizistischen Legalität hinter sich hat, weiß höchstens von „ein paar Dutzend Todeswünsche und Morddrohungen“ für provokative Beiträge zu berichten: „Zuletzt, als wir Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz mit den Worten ,Endlich möglich: Baby-Hitler töten!’ abbildeten“, sagte „Titanic“-Redakteur Moritz Hürtgen unserer Zeitung. Begonnen hätten Morddrohungen im Internet in den frühen Nullerjahren. (Stuttgarter Nachrichten)

Besser, das Zentrum für politische Schönheit benennte sich um in „Zentrum für politische Torheit“, nun, da es Björn H. dazu verholfen hat, sich als Opfer unrechtmäßiger Überwachung stilisieren zu können. Beim Zentrum für politische Schönheit ist man geneigt, an einen berühmten Satz von Fjodor Michailowitsch Dostojewski zu denken: „Die Schönheit wird die Welt erretten“, sagt die Titel gebende Figur in einem seiner Romane. Der Roman, in dem der Satz fällt, heißt „Der Idiot“. (BR Kultur)

Kunst darf viel, aber natürlich nicht alles. Darum ist es gut, wenn die Staatsanwaltschaft Mühlhausen wegen des Anfangsverdachts auf Nötigung und Bedrohung gegen die sogenannte Künstlergruppe „Zentrum für politische Schönheit“ ermittelt. Wer das Haus eines Politikers observiert und von diesem ein bestimmtes Wohlverhalten, eine öffentliche Unterwerfungsgeste, erpressen will, hat den Boden der Kunstfreiheit verlassen. Selbst dann, wenn es sich beim ausgespähten Politiker um AfD-Mann Björn H. handelt. Dem „Zentrum für politische Schönheit“ ist es mit seinen Volkserziehungsmaßnahmen bitterernst. (PRO, Christliches Medienmagazin)

 

H. fordert die Neubewertung der deutschen Geschichte. Da sollen wir also Stolz entwickeln? Mit der „Selbstgeißelung“ aufhören? Uns die „Denkmäler der Schande“ in unseren Städten schenken? Sparen am „falschen Geschichtsbewusstsein“, wie er es nennt. Wie nennen wir denn dann künftig – zum Beispiel mit einem AfD-„Kultusminister“ in zwei Jahren in Sachsen – den Angriff Deutschlands auf seine Nachbarn? Wird dann aus dem deutschen Überfall auf Polen 1939 vielleicht eine „Korrektur des Schanddiktats von Versailles“? Wie bewerten wir dann die vollständige Zerstörung Warschaus nach dem fehlgeschlagenen Aufstand der polnischen „Armija Krajowa“ (der „Heimatarmee“) im Frühherbst 1944? Als „Strafgericht für Partisanen und Freischärler“? Und wie halten wir es mit dem unsäglichen Leid, was den jüdischen Mitbürgern in- und außerhalb Deutschlands zugefügt wurde, die plötzlich nicht mehr als Menschen galten? Als „überfällige Reinigung des nationalen Volkskörpers“? Das ist Antisemitismus pur. (…) Der Boden war längst bereitet, auf dem der rechtspopulistische Mist gedieh. Es ist derselbe Boden, der jetzt von „Verletzung der persönlichen Integrität“ faselt, wenn das „Zentrum für politische Schönheit“ ein Erinnern an das Erinnern aggressiv-humanistisch, medial aufmerksamkeitsstark versucht. Und eben nicht mit Origami-Faltern in „Gutmenschenmanier“ daherkommt. (Sächsische Internet Zeitung)

Umso treffender geraten die Analysen des Kunsthistorikers und Philosophen Wolfgang Ulrich dann, wenn es um die Bildsprache auf Instagram geht, oder eben um politische Kunst. Besonders schlecht weg kommt bei ihm der „Artivismus“ von Gruppen wie dem Zentrum für Politische Schönheit, deren „aggressiven Humanismus“ er als „tyrannische Wertevermittlung“ bezeichnet. Diese politische Aktionskunst sei weniger auf Wirksamkeit aus als darauf, „dass bei den Mitwirkenden ein Gefühl von Ergriffenheit angesichts der vermeintlich historischen Dimensionen des eigenen Handelns“ aufkommt. Wenn man das einmal so gesehen hat, fällt es schwer, die wiederkehrenden Holocaust-Vergleiche der ZPS-Aktivisten noch akzeptabel zu finden. (Süddeutsche Zeitung)

Widerstand ist eine Kunst, die weh tun, reizen und verstören kann. (ZPS)

Gewalt gegen Kunst

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https://blogs.taz.de/spurensuche/2017/11/29/entwendung-aesthetischer-fertigteile-28/

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