vonDetlef Berentzen 03.05.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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„Das Alter genießen“ – ein banaler Slogan, passend zur Gesellschaft der totalen Vermarktung. (Norberto Bobbio)


Reden wir vom Alter. Von dem was uns blüht oder bereits erreicht hat. Vom Altern, von den Alten. Nicht von den Alten der Hochglanzwerbung, den angeblich allzeit fröhlichen Konsumenten von Kreuzfahrten, Windeln und Treppenliften, sondern von den Vielen, die der beschleunigte Alltag einer grell bunten und digitalen Welt im Grunde nicht länger meint. Reden wir von den verlangsamten Alten, die nicht mehr jung sind und vor allem darüber, was sie denken und wie über sie gedacht wird und in der Vergangenheit gedacht wurde. Und täuschen wir uns nicht: Viele der Alten sind, trotz aller gerontologischen Malaisen und trotz ihrer dreisten Ausgrenzung aus den intellektuellen Diskursen, auf der Suche nach neuem und eigenem Sinn. Und sie haben Geschichten zu erzählen. Versuchen sich gegen die verordnete Resignation zu behaupten, denn es gibt sie nicht mehr in der Postmoderne, die per se „würdigen Greisinnen und Greise“, die angeblich Respekt verdienen. So wie das Leben überhaupt Respekt verdient. Und auch das Sterben. Auch der Tod.

Vieles, was in den aktuellen Debatten zum Thema kursiert, weiß wenig vom tatsächlichen Leben der Alten (ihrer „conditio humana“) und noch weniger von der Geschichte jenes Denkens, das im Laufe der Jahrhunderte das Alter und seine Alten reflektiert hat. Ob nun Cicero dem Alter in „De senectute“ einen respektablen (auch sozialen) Sinn abgewinnt, dabei auch das Gespräch zwischen den Generationen postuliert oder Jacob Grimm, der mutig die Tugenden des Alters bestimmte, darunter auch jene Gelassenheit, die mit einer „gefestigten und freien Gesinnung“ einhergeht.

 

 

Später ist es dann Simone Beauvoir mit ihrer Frage nach einem menschenwürdigen Alter oder auch Jean Améry, der in seinen Essays all das, mit dem seine Vorgänger dem Alter noch Glanz verliehen, um ein Anderes, Kontroverses ergänzt: Das Alter als „unheilbare Krankheit“, als Zeit des „Sich-Fremd-Werdens“, in der sich der Mensch zunehmend verloren geht. Ein Stück Wahrheit, das der italienische Philosoph Norberto Bobbio in seinem Buch „Vom Alter“ mit über neunzig Jahren quasi synthetisch aufnimmt, indem er die eigene Metamorphose begreift, auch die Reaktionen seiner Umwelt auf das Alter reflektiert, gleichzeitig aber auch dem Alter einen eigenen Sinn und eigene Aufgabenbereiche zuordnet, nicht zuletzt die Erinnerung daran, dass Widerstand möglich ist, zwecks Herstellung von Identität: „Konzentriere ich. Verschwende die kurze Zeit nicht, die dir noch bleibt!“

Alter ist mehr als das, was da kichernd, naiv und tanzend in den Medien aufscheint, auch mehr als Rentenproblematik und Demenz. Das Alter hat gerade in der Philosophie eine eigensinnige Gegenwart und eine ebensolche Geschichte. Davon erzähle ich in meinem Hörstück (s.u.) für den SWR. Erst solch eine Erzählung (die auch die alten Menschen hörbar macht) kann den Rahmen bilden für den längst überfälligen und revolutionären Gegenentwurf zur „stillschweigenden Aussonderung der Alternden“ (Norbert Elias) und dem aktuellen Credo, dass wir zwar alle alt w e r d en, aber niemals alt s e i n wollen – ein historischer Irrtum! Der uns den Blick verstellt. Uns eine Zukunft vorgaukelt, die nicht uns meint. Was allerdings bleibt, ist das Hier und das Jetzt. Der Atem des Augenblicks. Und der Sound von Neil Young:Old man look at my life, I am a lot like you (were)…“

„Das Alter und seine Philosophien“ (podcast)

„Vom Alter – De Senectute“ (Norberto Bobbio)

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