vonDetlef Berentzen 10.05.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Lieber Detlef,

drei Monate habe ich sehr viel Zeit zwischen dicken Büchern und hunderten von Photos verbracht, wenig von der Welt um mich gesehen, Freunde und Freundinnen vernachlässigt. Ich habe fleißig recherchiert und geschrieben – an einem Buch zu Otto Wagners Werk in Wien. Er ist einer der großen Protagonisten des Wien um 1900, einer der wichtigsten architektonischen Visionäre jener Zeit. Zu Lebzeiten oft verkannt und angefeindet. Doch, du weisst ja, in Wien lassen sie dich gerne hochleben, wenn du lange genug tot bist. Die Wiener Seele ist ein bisserl nekrophil. Otto Wagner starb vor hundert Jahren am 11.April 1918. Ein guter Grund ihn so richtig zu feiern – und auch zu vergessen, was man alles in den vergangenen 70 Jahren von ihm abgerissen und verschandelt hat.

 


Voriges Jahr – du erinnerst dich – habe ich eine Ausstellung gemacht zu Joseph Maria Olbrich. Er war einer der vielen Mitarbeiter und Schüler Wagners, die das Credo ihres Meisters weitergeführt und in die Welt hinausgetragen haben: „Etwas Unpraktisches kann nicht schön sein.“  So nenne ich auch eine „Bilderreise“ zu den Bauten Wagners in Wien. Am 24. Mai, abends um 18.30 wird sie erstmals im Bezirksmuseum Neubau – im ehemaligen Wohnhaus des großen Biedermeiermalers Friedrich Amerling – vorgestellt. Im Herbst gibt es noch mindestens drei weitere solcher Termine. Wahrscheinlich mehr. Wer abends lieber beim Heurigen sitzt, kann ja am Wochenende mit dem Buch in der Jackentasche (im handlichen Pocketformat), die Wagnerbauten abwandern:

Sehr zu empfehlen dabei die großartige Kirche am Steinhof, der wohl bedeutendste Sakralbau Wiens, der nach Josef Kornhäusels Synagoge von 1825 entstanden ist. Am besten dann in die U-Bahn-Linie 4 einsteigen bis zur Station Kettenbrückengasse. Dort schaust du dir Wagners Drei-Häuser-Komplex an der Linken Wienzeile an. Nicht vergessen, um die Ecke in die Köstlergasse zu gehen. Dieses Haus gehört nämlich auch dazu, wird aber von den Touristen gern übersehen. Dann weiter mit derselben U-Bahn-Linie bis Landstraße-Wien-Mitte. Von dort hinüber zum Ring, um die Postsparkasse anzusehen – der erste Bau mit einer durchgängig genieteten Plattenfassade. In der Attikazone gibt’s – wie schon an der Steinhofkirche und am Haus Linke Wienzeile 38 – sensationelle Figuren von Othmar Schimkowitz. Nun an der Urania des Wagner-Schülers Max Fabiani vorbei den Donaukanal entlang flanieren. Am andren Flussufer steht Wagners Schützenhaus.

 

 

Bei der Station Schottenring erneut in die U-Bahn (U4) und bis zur Endhaltestelle Heiligenstadt. Dort schaust du dir zuerst den berühmten Karl-Marx-Hof des Wagnerschülers Karl Ehn an. Dann schnappst du dir eines der Leihfahrräder und radelst noch ein Stück nach Norden zum sogenannten Nußdorfer Nadelwehr: Wiener Jugendstil vom allerfeinsten. Und nicht vergessen, den linken Löwen an der Brücke genau zu betrachten. Er trägt nämlich Otto Wagners Gesichtszüge. Wer daran Zweifel hat, fährt mit der U-Bahn zurück zum Karlsplatz mit den beiden Wagner-Pavillons und schaut sich im Wienmuseum die von Andreas Nierhaus und Eva-Maria Orosz wirklich gut gemachte Ausstellung zu Otto Wagner an. Da hängt ein Bild, das vielleicht sogar das Vorbild für den Löwen war. Wagner hatte den Bildhauer Rudolf Weyer mehrere Modelle für den Löwen anfertigen lassen. Auf die Frage eines Mitglieds der Donauregulierungskommission, warum soviele Vorstudien für ein dekoratives Element nötig sind, soll Wagner gesagt haben: „Ja, wissen Sie, es wird in jedem Jahrhundert immer nur ein Löwe geboren.“

 
Also: Herkommen nach Wien und sie anschauen: die Werke des Löwen!!

Auf bald
Michael

 

Michael Schmid ist Journalist, Pressefotograf und Buchautor. Seit Jahren gestaltet er wechselnde Ausstellungen mit Fokus auf  Wien um 1900. Im „Echomedia Buchverlag“ erscheint von Michael Schmid die Reihe der „Wiener Kunst- und Kulturführer“. Auf Gustav Klimt in Wien folgte ein dreibändiger Führer zur Wiener Ringstraße, der schon nach kurzer Zeit zum Standardwerk über die Wiener Ringstraße wurde. Gleiches gilt für Schmids Kulturführer zu Josef Hoffmanns OEeuvre in Wien. Das Buch zu Otto Wagner ist ebenfalls bei „Echomedia“ erschienen“. Schmid lebt und arbeitet in Wien und in der Steiermark.

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