Möcht’ auch doch
Die ganze Welt uns hören!
(Lessing: „Nathan der Weise“)
Den Schauspieler, Drehbuchschreiber und Regisseur Holger Franke treffe ich meistens im Kungerkiez. In Berlin-Treptow, dort, wo Kreuzberg dem Osten mächtig auf die Pelle rückt. Hier wohnt er (samt Family), macht seine Lesungen, Sprachaufnahmen, immer noch jede Menge Pläne und übt seine Texte für das nächste Stück: „Wir proben den Nathan. Den Weisen spiele ich!“ Anfang Mai erzählte er mir das. Inzwischen ist die Zeit der Proben vorbei, das verwegene „Kunger.Kiez.Theater“ und sein buntes 25-köpfiges Ensemble haben Anfang Juni das Stück „Nathan und Lisa“ (Regie: Michael Reinhold Schmitz) auf die Bühne gebracht.
Claus Peymann hat zwar nie im Kungerkiez inszeniert, aber schon vor Jahren hatte er seinen Lessing am BE ja bereits mächtig entrümpelt, so sehr, dass Atem und Sprache des Stücks wieder Freude machten (was übrigens selbst in Ostwestfalen gut ankam). Aber in Treptow sind viele der AkteurInnen jung, spontan, haben ihre aktuellen Konfliktlagen ausgearbeitet und Lisa interveniert, ist inspiriert vom alten Nathan, versucht ihn zu begreifen und sein aufgekärtes Denken über die großen Religionen und deren friedliche Koexistenz in den Alltag umzusetzen, aber: „Lisa scheitert dabei2 (Schmitz). Zunächst. Denn was soll’s: „Ever failed? Try again. Fail again. Fail better“ (Beckett). So ein Stück wird auf der Straße weitergespielt. Jeden Tag. Mit immer wieder neuen Akteuren. Und manche von denen sind vielleicht ins Gelingen verliebt.
Das Stück soll jugendlichen wie erwachsenen Verunsicherten und Verbitterten ganz ohne Fingerzeig echte Alternativen zu Hass, Wut und Ausgrenzung aufzeigen und die wieder dringend notwendige Auseinandersetzung mit den Begriffen Toleranz, Akzeptanz, Integration usw. in einer pluralen Demokratie anregen.
Es war ein langer, sicherlich auch schwieriger Weg ins Licht der Toleranz, immer sind es lange Wege bis solch eine Inszenierung, wild genug, ihr Publikum finden kann. Das gilt auch für Nathan, auch für Lisa und die anderen. Was dabei ungewöhnlich und äußerst attraktiv ist: Dieser lange Weg ist umfassend in Blog und Video dokumentiert, kurzum: die besondere Art der Auseinandersetzung des „KungerKiezEsembles“mit dem Stoff wird auf „myheimatberlin“ sichtbar. Und ein paar Vorstellungstermine sind auch noch in Sicht. Allons enfants!
Szenenfoto: Samuel Siepmann