vonDetlef Berentzen 14.02.2019

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

Mehr über diesen Blog

Lieber Detlef,

Wien ist – wie du weißt – eine etwas schizophrene Stadt. Ganz besonders, wenn es um Kunst und Kultur geht. Denke nur an die Wiener Zinshäuser in den Vorstädten mit ihren reich dekorierten Fassaden: Die sollten unbedingt so schön sein wie die prächtigen Palais an der zentralen Ringstraße. Also nutzte man vorgefertigten Fassadenschmuck zu wohlfeilen Preisen. Karyatiden, Festons, Giebelfelder, Volutenkonsolen, Löwenköpfe, Musen – alles in großer Auswahl im Katalog. Und hinter diesen feschen Fassaden? Karge überbelegte Wohnungen. Elende Massenquertiere.

Anderes Beispiel. Theophil Hansens Musikverein mit dem wohl besten und schönsten Konzertsaal der Welt. Hier treten die ganz Großen auf. Die besten Orchester der Welt. Brillante Musikerinnen und Musiker. Aber der Musikverein bietet auch provinziellem Kleingeist eine Bühne wie etwa dem larmoyanten Lederhosenbarden Andreas Gabalier.

Oder das Belvedere. Bekannt ist die Sammlung des Belvedere vor allem für ihren Bestand an Werken Gustav Klimts: „Der Kuss“ hängt da und wird alljährlich von Zigtausenden photographiert. Zum Belvedere gehört auch das Belvedere 21, ein Bau von Karl Schwanzer (ja, der Architekt der BMW-Türme in München), in dem zeitgenössische Kunst gezeigt wird. Im Belvedere 21 hat aktuell Christian Ludwig Attersee eine Personale zu seinem Frühwerk. Attersee ist ein nicht gänzlich uneitler Maler, der sagt: „Der weibliche Körper war – so wie der männliche – immer ein Objekt.“ So sehen seine Bilder auch aus. Nur, dass die männlichen Objekte im umfangreichen Œuvre des Meisters eher dünn gesät sind. Weibliche Objekte gibt’s dagegen zuhauf. Aber immerhin ist der Künstler angeblich „öfter auf Schiffen gelegen als auf Frauen.“ Erklärt er. Doch lassen wir das. Es gibt mehr als dies Immergleiche: Extrem Spannendes nämlich. Außerordentliches. Sensationelles!

 

(Helene Funke: Träume, 1913)

 

Vor ziemlich genau 100 Jahren, am 16. Februar 1919, durften Frauen erstmals an einer Parlamentswahl in Österreich teilnehmen. Vielleicht hat dieses Jubiläum die Kuratorinnen des Belvedere dazu bewogen, sich einmal mit den Künstlerinnen, der für die österreichische Kunstgeschichte so wichtigen Epoche zwischen 1900 und 1930 zu befassen. Also haben sie in ihrem Depot nachgesehen, was da alles so im Verborgenen schlummert. Sie wurden fündig. Und wie. Und dann haben sie wohl ihre Kolleginnen und Kollegen von anderen Sammlungen angerufen. Vom Wienmuseum, von der Angewandten, vom niederösterreichischen Landesmuseum, von der Artothek des Bundes. Doch es gab auch andere Fundorte, wie die Chef-Kuratorin Sabine Fellner erzählt: „Bilder dieser großartigen Frauen waren teils auf Dachböden gelagert oder in Depots versteckt, ohne dass es jemand wusste.“

 
Das Ergebnis ist die sensationelle Ausstellung “Stadt der Frauen” mit Werken bedeutender österreichischer Künstlerinnen vom Beginn der Moderne in Wien. Im Unteren Belevedere reihen sich nun dicht an dicht erstklassige Gemälde und Objekte jener Zeit, allesamt von Frauen gestaltet. Gleich im ersten Raum erstaunt die expressive Kraft der Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries. Stell mal ein Objekt von Rodin daneben und sag mir, welches interessanter ist. Eben! Die Kunst war halt immer schon ein Männerbetrieb. Manche der Malerinnen wie Tina Blau, Broncia Koller-Pinell oder Elena Luksch-Makowsky waren zur ihrer Zeit durchaus anerkannte und wichtige Größen. Doch über die Jahrzehnte sind sie wieder in Vergessenheit geraten. Und natürlich hat das NS-Regime viel dazu beitragen, dass Frauenkunst in Österreich verdrängt und auch vernichtet wurde. Wie Marianne Saxl-Deutsch oder Helene von Taussig, die von den Nazis ermordet wurden. Anderen wie Frieda Salvendy, Bettina Bauer-Ehrlich oder Trude Waehner gelang die Flucht ins Exil. Nach dem Krieg wandte sich die österreichische Kunstpolitik allerdings schnell denen zu, die dageblieben waren. Niemand wurde eingeladen, zurückzukommen. Schon gar nicht die Frauen. Öffentliche Aufträge gingen mehrheitlich an Männer.

 

(Helene von Taussig: Weiblicher Akt auf blauem Stuhl, 1920/30)

 
In der Ausstellung werden Werke von mehr als fünfzig Künstlerinnen gezeigt. Die Qualität der ausgestellten Arbeiten ist durchwegs sehr hoch. Da sind keine Lückenfüller dabei. Keine Bilder, die auch noch aufgehängt wurden, weil das gerade gut ins Gestaltungskonzept passt. Hier wurde nach strengen Maßstäben ausgewählt. Die Direktorin des Museums Stella Rollig wollte „die vergessene weibliche Seite dieser Epoche (= der Wiener Moderne) in ihrer ganzen Reichweite wieder sichtbar zu machen.“ Das ist trefflich gelungen. Eine derartige Bandbreite des Schaffens jener Zeit findest du sonst kaum irgendwo. Bemerkenswert ist, dass auch politische Zusammenhänge dargestellt werden. Darauf wird hierzulande sonst gern vergessen. So bezogen beispielsweise Margarete Hammerschlag, Friedl Dicker oder Marianne Saxl-Deutsch mit ihrer Arbeit immer wieder unmissverständliche sozialkritische Positionen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang der letzte Raum, in dem Werke Stephanie Hollensteins solchen von Trude Waehner gegenübergestellt werden. Während sich Hollenstein schon früh in der Illegalität den Nazis anschloss und nach 1938 dafür auch ordentlich belohnt wurde, unterstützte Waehner bis zu ihrer Flucht aus Österreich politisch Verfolgte in der Zeit der austrofaschistischen Diktatur unter anderem mit gefälschten Dokumenten und Pässen.

Die Ausstellung ist bis 19. Mai 2019 im Unteren Belvedere zu sehen. Hingehen und anschauen! Sie gehört zum Besten, was derzeit in Wien zu sehen ist. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, gibt es freien Eintritt für alle Frauen. So soll es sein.

In diesem Sinne auf bald
Michael

 

more info

 

Fotos: Johannes Stoll/Belvedere Wien

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/spurensuche/2019/02/14/wiener-korrespondenzen-42/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert