vonDetlef Berentzen 18.02.2019

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Die Sonne scheint und wärmt die alten Knochen. Ich surfe auf Radiowellen und gerade fällt mir ein, dass wir in grauer Vorzeit immer wieder mal SchriftstellerInnen in die alte taz eingeladen haben, die für eine ganze Woche zu eigensinnigen BlattmacherInnen wurden. Spannend war das, extrem lesenswert und verdammt aufschlußreich. Und demnächst schon, im April, lädt die junge taz jede Menge Kids dazu ein, die Geburtstagsausgabe zu gestalten. Eigentlich etwas, was auch dem aktuellen Radio gut täte: Experimente mit einem Rollentausch, der dann vielleicht doch eine Lösung ist.

Nicht um Formatierung geht es, sondern um Eigensinn! Katrin Gottschalk und der junge DJ vom Schwarzen Block würden bestimmt ein prima Programm machen. Das hat Martin Walser schließlich auch geschafft! Gehörte er nicht in den 1950ern zur „Genietruppe“ des SDR und sorgte für jede Menge „Szene“ und Nachwuchs im Sender? Kurzum, es gibt bis heute viel vom alten Radio zu lernen. Zum Beispiel muss man nicht jedem kurzhosigen Trend nachlaufen, sondern sollte  ganz und gar eigene Trends zu schaffen. Geschichten erzählen! Vom Radio zum Beispiel. Von damals, heute, übermorgen. Endlich begreifen, was das Radio zu bewegen vermag. Immer und noch. Womit wir wieder bei meinen eigenen „Radio-Days“ sind. Bei meinem alten „Andante S“, auch bei der Phonotruhe, mit deren Plattenspieler ich die alten Schellackplatten von meinem Vater abspielte (78er-Geschwindigkeit!), wenn das Radio mal nichts zu bieten hatte. Das kam allerdings selten genug vor:

(Reporter: Rudi Michel) Schnellinger wirft auf Vollmar und wieder zurück, die deutsche Mannschaft sollte sich umformieren und Vollmar endlich einmal den Blick in Angriffsrichtung nehmen und nicht nur zurückspielen…..

 

 

„Fussball! Immer nur dieser verdammte Fussball!“ – Meine Mutter hielt es damals zu Hause einfach nicht aus: Verfluchter Nachkrieg! Immer dieser besoffene Vater. Immer nur Streit. Und immer diese betrunkenen Männer vor dem Radio. In unserem Wohnzimmer. Also floh sie mit meinem kleinen Bruder zu Oma Fini. Immer wieder. Ich aber blieb allein mit dem „Alten“ und seinen Kumpanen. Und dem Radio. Alle lauschten gespannt der Reportage, tranken dazu Bier aus braunen Flaschen und rauchten Ernte 23 oder auch HB. Und wenn ein Tor fiel, durfte ich eine Runde Schnaps in die bereitgestellten Gläser gießen.

(Rudi Michel) Schnellinger bleibt Sieger im Zweikampf, schlägt dann sehr schön nach innen. Erhardt ist am Ball, am Strafraum der Jugoslawen , die ihre Abwehr formiert haben, (lauter) Uwe Seeler, Schuß….Pfostenschuß und Tor!!!!!!

Wenn so ein Tor fiel, jubelten alle: Rudi Michel und die Zuschauer im Radio, mein Vater und seine Stammtischbrüder. Alle machten einen Heidenlärm. Also fiel nicht weiter auf, daß ich gar nicht mitlärmte, sondern eher darüber staunte, daß es mein Radio war, das all die Kumpanen, die da mit ihren Bierflaschen in der Hand auf unseren Stühlen saßen, jubeln ließ: trinkende Kohlenhändler, Klempner, Bankangestellte oder eben „Schokoladengroßhändler“, wie mein Vater, …das waren die Männer meiner Kindheit. Irgendwie hielten sie zusammen, riefen: Einer geht noch rein! ….und ich wollte einer von ihnen werden. Oder vielleicht doch besser Kapitän? In einer schmucken Uniform die sieben Weltmeere befahren!? Richtung Amerika!, wie dieses Schiff, damals im Radio, dessen mächtiger Sirenenton mir nie verloren ging:

(Reporter) Auf Wiedersehen BREMEN, gute Fahrt!

Vielleicht könnte ich auch als blinder Passagier mitreisen. Später mal. Doch eigentlich wollte ich nur eines: nicht mehr diese Angst haben. Immer hatten die Eltern Streit, drohten sich gegenseitig mit Scheidung, es klirrte und krachte. Aber manchmal vertrugen sich die Beiden auch, machten sich fein und zogen gut parfümiert in Richtung Stadt: zu einer Geburtstagsfeier vielleicht, in eine Bar, ins Kino oder sonstwohin: Paß auf Deinen kleinen Bruder auf!, mahnten sie mich dann. Thomas schlief in seinem Gitterbett meistens schnell ein.

Also konnte ich endlich wieder ins Wohnzimmer, vor’s Radio. Machte aber aus Vorsicht kein Licht an, ließ allein das magische Auge und die Senderskala leuchten und lauschte auf der Kurzwelle fremden, geheimnisvollen Gesängen aus fernen Welten, die sicherlich aus ganz anderen Zeiten stammten, …aus der von Robinson Crusoe und seinem Freitag vielleicht: „Gesänge aus Madagaskar“, an die erinnere ich mich noch genau. Weit trugen sie mich fort. Mit geschlossenen Augen lag ich auf dem Teppich und lauschte in die weite Welt hinein. Selten war ich glücklicher.

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