vonDetlef Berentzen 09.07.2019

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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„Mach Dir meine Erinnerungen selber, aber so, dass die Funken sprühen!“, hat er immer gerufen, noch ein paar letzte Fakten auf den Tisch geworfen und mußte dann schon wieder weiter. Also habe ich meinen Schlund erfunden. Auch. Schließlich kannten wir uns lange genug. Und noch heute ist all das zu spüren, was ihn bewegte. Schließlich sind da seine Bilder, die Zeichnungen, die Skulpturen,die Bücher, die Materialien. Die bleiben. Die erzählen. Von einem verrückten Leben, in dem einer suchte und auch fand. Auch die Farben. Auch Freunde. Heute wäre Schlund 85 Jahre alt geworden: Gratulor!

ALLES IST AUS. Manchmal scheint es jedenfalls so. Scheint aber nur so. Trotzdem, sie haben Schlunds Sendemast abgerissen, seine Bäume gefällt, die Grube zugeschüttet, die Spiegel zerschlagen, das Haus in Brand gesteckt – alles platt gemacht. Sie. Er ist aufgebracht, nein, nicht außer sich, sondern so richtig bei sich, sitzt in Berlin am Steinplatz, vor diesem Café mit der Filmbühne, hockt draußen vor der Tür, Berlin lärmt vorbei, vor ihm ein Glas Weißwein und die Mappe mit den Zeichnungen, Plänen, Skizzen. Nach denen wollte er doch bauen, aber kann nicht, darf nicht, soll nicht.

Und sah doch schon alles vor sich, …und ich sehe ihn, sein bleiches Gesicht, darüber die unrasierte Haut mit den hektischen Flecken. Die Augen blitzen, die Finger trommeln nervös auf der grauen Mappe und mit jedem Trommelwirbel erzählt er ein neues Bild: Ein kleiner Pappelwald glitzert verträumt. Auf der zentralen Lichtung des Wäldchens ist eine Grube ausgehoben, mit Glas abgedeckt. Unten in der Grube sind blitzblanke Spiegel der Marke „Selbsterfahrung“ montiert. Neben der Grube ein langes Holzhaus, halb in die Erde gebaut – „Und was soll das werden?“

Ein quicklebendiges Dokumentationszentrum. Jede Nachricht über eine Gewalttat, aus welchem Winkel der Welt auch immer, wird hier elektronisch registriert, ist jederzeit abrufbar, einsehbar, aber immer eine zuviel. Flüchtlinge sollen Livebilder aus allen Krisengebieten auf die Monitore des Zentrums senden. Die Cams in den ehemaligen Konzentrationslagern liefern ebenfalls Bilder, 24 Stunden, rund um die Uhr. „Und der hohe Mast neben dem Zentrum?“

 

Auf der Spitze des riesigen Stahlfingers wird Tag und Nacht ein blauer Laserstrahl rotieren, den auch Werner T. in Treptow oder Anne B. in Charlottenburg sehen können. Und beide werden vor ihren Häusern stehen, den Kopf im Nacken und wissen, daß dieses Signal vom Mast jenes Mahnmals gesendet wird, das der Schlund als Ensemble für Berlins Mitte entworfen hat. Ein Mahnmal der Jetztzeit, für heute, morgen und für alle, die demnächst und vielleicht schon übermorgen auf dem Altar der War-Pigs geopfert werden.

Schlund schlägt immer noch seine Trommelwirbel, bestellt noch einen Wein und dann noch einen, versucht sich den Frust schön zu saufen, ist immer noch sauer, weil seine Form der „Tätigen Einsicht“, so nennt er das, niemanden vom Wettbewerb interessiert. Nicht den Kulturminister, nicht die Ausschreiber, nicht den Kanzler, nicht die Presse und überhaupt, die meisten blicken zwar zu recht schaudernd auf die Untaten der Vergangenheit, nicht aber, „Der olle Fried hat recht, mein Alter!“, auf die Untaten der Gegenwart, erst recht nicht auf jene, die gerade eben für die Zukunft geplant werden.

 

„Wenn nur der Böll noch leben würde“, den kannte Schlund aus Köln, beide starke Raucher, doch der ist jetzt tot und keiner folgt ihm nach. „Is doch wahr!“ Dann steht der Schlund auf und schwankt ein wenig. Schwankt ziemlich. Schwankt voller Weißwein, aber elegant übers Trottoir, steuert geradewegs auf eine ältere Dame mit Dackel zu und fasst sie am Arm: „Du warst doch damals auch dabei! “, aber davon will sie nichts wissen, ist erschrocken. Vergrößerte Pupillen, Hand zum Herzen.

Da tritt der alte Schlund verständnisvoll einen Schritt zurück, knöpft das Wolljackett über seinem Kartoffelbauch zu, verbeugt sich, lächelt recht freundlich, immer noch schwankend, ein Rohr im Wind: „Kommen Sie doch, einen Moment nur. Darf ich Sie auf ein Glas einladen?“ Er darf wirklich, wundert sich noch, rückt der Dame den Stuhl zurecht, da sitzt sie schon neben ihm, der rauhaarige Dackel bekommt seinen Plastiknapf mit Wasser, schlappt gierig mit der langen roten Zunge und Schlund zeigt der Dame die Pläne von seinem Mahnmal. Der Sendemast wird neu errichtet.

„Alles Lüge damals“, wispert die Frau, „ und wir waren Kinder und wussten doch nicht, oder?“, schaut auf die Skizzen und legt ihre Hand vorsichtig in seine. What a wonderful world! Er hat ihn geliebt, den Satchmo.

 

Illustrationen: Joern Schlund

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