Irland ist bekannt für seine Landschaftsbilder. In sie versenkt, enthüllen sie elementare Geheimnisse über Dasein und Natur – eine ungewöhnliche Ortsbeschreibung.
Ein Stern unter Sternen verglüht in Raum und Zeit des Alls. Indessen dreht der blaue Planet unermüdlich seine Bahnen, als beichte er seine Laster zu sich selbst. Wie ein aufleuchtender Milchtropfen zerrinnt der Stern ein letztes Mal in der glasigen Unendlichkeit der Nacht und zieht einen weiten Bogen durch die schwarze Werkstatt einer Schöpfung, die ziellos ist. Er hinterlässt eine Reifenspur, die im nächsten Augenblick erlischt, um dann schließlich ins echolose Nichts zu perlen. Ich falle durch die Himmelssphären hindurch, wie ein stürzender kleiner Prinz, der von den Säulen der Milchstraße aufgegeben wurde. In der Erdatmosphäre fangen mich die schwer in Falten liegenden Wolken auf. Sachte schirmen sie mich vor einem harten Fall. Das letzte Blatt im Herbst fällt vom Ast. Es schaukelt auf die Erdkruste, bis es sich neben dem Stamm bettet und traumlos schläft. Ich gleite herab in die unbewohnten Regionen einer bewohnten Landschaft, die geschlagen im Nachtasyl liegt. Ich bin angekommen. Ich richte mich auf. Alle Fantasien sind verschwunden. Keine Sterne zu sehen – nur ich im Spiegel eines erstarrten Flusses, der stromlos ruht, und die hoffnungslose Stummheit, die meine Hilfeschreie verschlingt, bis meine Kehle meine Laute zerschneidet. Ich ahne, ich bin ein verlassenes Wesen, ein namenloses, das im Zusammenbruch von Vergangenheit und Zukunft gefangen ist. Das Jetzt, mich umringend, formt meine Gitterstäbe, an die ich mich mit aufwallender Sehnsucht klammere. Die Gitterstäbe sind kalt. Sie verspeisen mit ihrer Kälte meine Hoffnung und hinterlassen Zweifel.
1.
Verbrannte Erde, sich in Glut verzehrend, steigt über die moosbewachsenen Dächer auf und schwebt in Ausdünstungen über das Land. Verbrannte Erde – das ist schwarze, tieffinstere Erde, das ist geruchsloser Torf, das im Lebenszeitalter einer ganzen Gattung reifend durch die Erdschichten aufquillt und im dichten Gras liegt, um der Inkohlung entgegenzustreben. Der Torf, der in Öfen brennt und sein Geruchsinneres freisetzt, betäubt die Nase, den Körper, die Nerven, die Muskeln und beißt ins Hirn, um wie eine Reibe über die Schläfen zu schürfen. Er ermüdet Gedanken, die Auswege suchen. Träge streckt er sich zwischen Himmel und Erde und gähnt bis zum Rand der Horizonte. Vergiftende Erschlaffung ist sein Wesen. Glimmende Wärme ist seine Existenz. Verbrannte Erde, das ist Verführung mit Narkose statt mit Lust. Sie schweift leidenschaftslos wie ein Phlegma über den Boden. Sie ist der stille Geist der Materie, die sich Geschichten erzählt. Die Wiesen ertrinken im Matsch und die nackten Bäume versinken in Sümpfen. Morast und Moder, Trümmergestalten der Natur, herrschen über das blumenlose Grün, das in der Frühe im Morgentau erstickt und gegen Abend im Nebel versinkt. Alle Lebewesen, selbst Mikroben, Insekten, Würmer und Fische sind im Exil. Die Wüste urgrüner Erde hat sie verbannt. Pfützen und Bäche stieren regungslos in einen gleichgültigen Himmel. Nur hier und da krächzen vereinzelte Raben ihren Hunger über die Ebenen und wachen über den selbsttätigen Triumph eines Bewohners, der sich in seinem Reich der Verlassenheit nicht stören lässt. Unter der grünen Decke verbirgt sich eine unzerstörbare Substanz; gestaltlose Knetmasse im permanenten Gebrechen, das in seiner Ganzheit ineinander webt und wirkt und zu Grunde richtet, was es rastlos aus sich selbst heraus zeugt. Es ist das Glasperlenspiel der Natur in einer vorzeitlichen Einsamkeit, in der sie als alleiniger Bewohner des Nichts weltabgewandt mit sich selbst beschäftigt ist. Natur, das ist die Perfektion skrupelloser Stille.
2.
Die Straßen sind horizontlos und schmal. Sie führen über Hügel, Täler und Ebenen. Gestrüppe wuchern über ihre Grenzen und verzweigen sich hier und da in unzähligen Verästelungen. Die Straßen bilden die Tristesse des Hinterlandes, das trügerisch ein Ziel verspricht, welches unerreichbar ist. Das Ziel der Straßen ist der Trug eines Ziels, in dem man sich verbissen zermartert, bis die Erkenntnis zu spät gewonnen ist, um nützlich zu sein. Die Bestimmung der Erkenntnis ist seine Verspätung, das Verspätet-Sein, das alles zur abbruchlosen Wiederkehr des Immergleichen verdammt. Die leeren Straßen, in ihrer Durchlöcherung zu schwarzen Pfützen gefüllt, sind die Offenbarung der Wiederholung, die sich nicht rückgängig machen lässt. Alles Streben verwandelt sich zur Wiederholung – ohne Nachhall, ohne Spuren, ohne Vermächtnis, auf das sich bauen lässt, sodass sie nach Rom führen könnten. Sie verraten die Geschichte der Natur, nämlich ihre Geschichtslosigkeit, ihr starrer, bewusstloser Wandel, der sich permanent verflüchtigt und dem Gedanken abgeht, will er ihn ergreifen. Die Straßen lehren was Hoffnung ist, nämlich das untätige Warten vor dem Gesetz, das sich als Gesetzlosigkeit entpuppt und dennoch zur Tatenlosigkeit verurteilt. Die Wege der Straßen sind unergründlich, da es nichts zu ergründen gibt. Sie sind das Symbol der Wissenschaften, die am Horizont des Vorstellbaren vergeblich Wahrheiten suchen, aber noch nicht in ihrem Inneren Wahrheit gefunden haben, um eine Basis für Wissen und Wahrheit zu haben, die Unvorstellbares durchschreitet. Mag man alle bepflasterten Wege durchlaufen, müßig gehen oder rennen, am Schluss weilt die trübe Einsicht auf diesen Wegen, dass sie ausweglos sind – ausweglos, dieser Welt zu entkommen und keine andere zu haben. Flucht ist ein sich selbst aufhebender Begriff. Sie ist unmöglich.
3.
Grau in Grau gestirnt, liegt der Himmel in Falten wie durchgeblättertes Zeitungspapier. Vergeblich ist die Suche nach einem allgütigen Gott, der hinter den Wolken lauert. Der geriffelte, eiserne Dach über der Erde spottet über Gottheiten. Der Himmel verheißt eine Komödie über die Religiösen, um lachend die Gottlosigkeit über Allseiendes zu verkünden. Ewig ist der Himmel, unendlich sind die Abwandlungen der Wolken – und sterblich ist das Leben. Der Wunsch, dass Gott, ein Absolutes, existiere, ist der blinde Ruf der Verzweiflung, die ihre Würde noch nicht erkannt hat. Hier und da öffnet das Wolkengewölbe Fenster und Türen und lässt sattblaue Sphären durchblicken. Reines Licht fließt durch sie hindurch, zerbricht und wandelt im Abglanz über feuchtes Land, um es sichtbar zu machen. Die Wolken ziehen sich wieder zusammen. In dunkler Gestalt gießen sie Tränen der Vergänglichkeit über die Daseinsfreudigen. Der Regen zieht ab und nun verengt sich Himmel und Erde zu einem raumzeitlichen Kontinuum, das undurchdringlich ist. Fadheit ist sein Nachgeschmack. Hier ist nichts zu machen, nichts zu finden. In diesen Straßen, über denen der gestirnte Himmel segelt, bleibt nur eines übrig. Nicht weiter zu gehen und hilflos auf Godot zu warten.
4.
Ich stehe am Weltenende auf unverwüstlichen Klippen, die die Insel unter mir im Klammergriff über die tosenden Ozeane halten. Die Wassermassen klatschen zornig ohne Nachlass gegen diese schwarzen Säulen und schlagen auf die Glocken der Sinnwidrigkeit allen Seins. Überall, wohin sich der Blick wendet, ist Tod zu sehen. Die titanischen Klippen verwandeln sich in die Wände der Hölle und imitieren den Schrein des Absurden. Sie sind der erniedrigende Sarg Lucifers – erniedrigend, wenn Leben ihnen gegenübersteht. In diesen Urkräften verbirgt sich die Archē, aus der das stumme Wirken der Materie hervorgeht. Geist urknallt aus der Materie, immerzu, ohne sich verselbstständigen zu können. Hier ist Anfang und Ende, Ursache und Wirkung, Leben und Tod. Die Gletscher aus Erde, die sich gegen die Wellenschläge stemmen, sind elementarisch. Die Landschaft enthüllt sich als grenzenloser Friedhof ohne Grabsteine. Es gibt keine Zeugen für das Dasein. Sowie die Klippen aus dem Wasser emporragen, unübertrefflich in ihrer Macht und Majestät, laden sie die verzweifelten Schattengestalten ein, sich in die schäumenden Wellen zu stürzen. Sie verkörpern die Erlösung von der unheilvollen Zerrissenheit, die aus Sein und Wille aufklafft. Die Raben krächzen im Gleitflug über den mit schwarzem Moor beklebten Klippen, die der Brandung trotzen. Vanitas wispert es – Nichtigkeit wispert es im Nebel der scharfen Felsen und Brocken, die die Klippen hobeln und die Fratzen Lucifers verzeichnen. Die Klippen, Steinschicht auf Steinschicht getürmt, sind die Verführung des Wahnsinns nach Vollkommenheit, wonach unvollkommene Kreaturen spähen. Sie sind das Absolute, gegen das der Anspruch auf Absolutes zu Nullität verstaubt. Hier ist der gleiche Stoff zu finden, der Träume zerstört.
5.
Die Schwärze der Nacht verschluckt jedes Lebenszeichen. Die Nacht hat alle Laternen ausgepustet. Auch der Abglanz der Sonne, der die Dinge sichtbar macht, ist verzehrt. Die Sterne sind funkenlos. Schutzlos ist alles der grausamen Stille ausgeliefert. Der schwarze Teppich rollt über das Land und vereinnahmt die letzten grünen Reste brauner Erde. Die Ohren verstummen, die Augen erblinden, alles wird unsichtbar. Der Geist ist nackt, weil der Körper bis auf seine Sinne ausgezogen ist. Aber die Unruhe, die panisch aufsteigt, verdichtet das Fühlen, als würde es erst jetzt in Gänze erwachen, als würde der Körper ganz Geist werden, weil der Körper ganz auf sich selbst aufmerksam wird, worin ihn Angst umgibt. Ein Messer windet sich ins Herz, zerfleischt es. Nackt steht man da, auf sich selbst zurückgeworfen, ahnungslos in einer beängstigenden Gedankendichte angesichts der Seinslosigkeit um einen herum. Dennoch ist da der Verfall des einzigen Seins, das man selbst ist, und die Ahnung, dass die Nacht die camouflierte Tarnung einer mörderischen Bedrohung ist, mit der die Natur ihren bewusstlosen Plan vollstreckt. Die Nacht ist die Heimtücke der Natur. Sie offenbart die totale Verwundbarkeit der Kreaturen, die aus Erde kommen, von Erde leben und in Erde gehen – dazwischen das Schweifen um den Nullpunkt, der die Drehachse des Bewusstseins bildet.
0.
Ich, der kleine Prinz, der von der Milchstraße verstoßen wurde, ziehe mit Beklommenheit durch die Landschaft einer großen Insel, wo mich die Winde hin verschlagen haben. Ich sehe nichts. Ich bin wie blind. Ich spüre nur die Dunkelheit der Nacht und den saugenden Matsch, der meine Füße zu schlucken versucht. Vielleicht ist auch das nur ein Traumbild. In meinem Körper klopft der Puls der Leere. Ich werde nicht erwartet. Mein Sein erlischt und die Lebenszeichen, die es von sich gibt, versinken allmählich in der raumlosen Nacht, die sie – die mich absorbiert. Ich bin ein gestürzter Stern, der seinen Namen nicht kennt. Ich stehe kurz vor der Auflösung im Nullpunkt … Doch da, im kontrastlosen Nichts, kommt mir vorsichtig eine Laterne entgegen, die Licht in die Finsternis bringt und selbst Geschöpf des bewusstlosen Spiels der Natur ist. Die Laterne dieses Naturwesens versteht die zwecklose Natur zu begeistern, so als verleihe es ihr Zweck. Sie tritt dem Naturstoff, gleichsam aus ihr geboren, selbst als eine Naturmacht gegenüber. Ein Stoffwechsel mit der Natur entfaltet sich, der ihre Ziellosigkeit zu einem Ziel umleitet. Er greift in die weltabgewandte Knetmasse, die mit sich selbst beschäftigt ist, ein und schiebt ihr die Laterne in die Eingeweide, auch wenn die schwarzen Klippen unüberschreitbare Grenzen markieren. Die Feindseligkeit der Natur verwandelt sich plötzlich um in Willfährigkeit. Indem das Naturwesen durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert es zugleich seine eigne Natur. Die Natur erlebt ihre Sühne durch ihre Kinder. Sie wendet sich der Welt, der Geschichte zu. Die Laterne des Naturwesens, das den Stoffwechsel bewirkt, enthüllt sich als Arbeit, als schöpferisches Prinzip – ein tätiger Prozess, in dem ein Geschöpf der Natur sie selbst sich zum Geschöpf macht. Die Natur versöhnt sich mit sich selbst. Ich erkenne die Umrisse der Würde mitten in der Selbstvergessenheit des Alls. Die Würde ist ein Bewältigungsakt der Freiheit. Nun fällt mir, verlassenem Wesen, auf, was ich bin. Die Laterne kennzeichnet mich. Sie legt Licht auf mein Gesicht. Auch ich besitze eine Laterne. Ich bin nicht namenlos. Ich habe einen Namen. Ich existiere. Ich heiße Mensch. Ich meißle Licht aus Stein.
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*Foto von Andreas Bill